Die Niddesa-Form (kurze Beschreibung) von Paṭicca Samuppāda bietet mehr Klarheit als die Uddesa-Form (Äußerung). Wir betrachten hier die Niddesa-Form.
Drei Elefanten im Raum
1. Während der Entstehung des Mahāyāna (mit Sanskrit-Literatur) vor etwa 2000 Jahren hatten Schlüsselwörter wie anicca und anatta verzerrte Bedeutungen. Die Fehlinterpretation von Ānāpānasati als „Atemmeditation“ durch Buddhaghosa wurde vor etwa 1500 Jahren in den Theravāda-Buddhismus aufgenommen.
- Buddha Dhamma kam dank der Bemühungen einiger britischer Beamter und europäischer Gelehrter ab den 1800er Jahren aus einer weiteren dunklen Periode von 300-400 Jahren heraus. Die früheren Verzerrungen wurden jedoch (unbeabsichtigt) mit der neu entdeckten Druckerpresse weltweit verbreitet. Außerdem begann zu der Zeit die Praxis, den Pāli-Tipiṭaka Wort für Wort ins Englische und Deutsche zu übersetzen.
- Die Annahme falscher Interpretationen von Schlüsselwörtern wie anicca und anatta aufgrund des Einflusses von Mahāyāna wäre EIN Problem, was es anzugehen gilt. Fehlinterpretation von Ānāpānasati als „Atemmeditation“ ist das ZWEITE. Ich habe diese beiden Themen in der Vergangenheit diskutiert, werde sie aber in dieser Textreihe noch einmal ansprechen.
- Davor muss ich das dringlichere DRITTE Problem ansprechen, was sich aus Wort für Wort Übersetzungen des Tipiṭaka ergibt. Viele dieser Widersprüche können sogar von einem Kind ohne Kenntnis von Pāli erkannt werden. Das ist der erste “Elefant im Raum“. Es ist unmöglich, den Tipiṭaka Wort für Wort zu übersetzen und die eingebetteten tiefen Konzepte zu vermitteln.
Der erste Elefant im Raum
2. Der folgende Vers (in Uddesa-Form) stammt aus der Dutiyabodhi Sutta (Ud 1.2). Die Pāli-Version der entsprechenden Verse ist in Ref. 1:
“Während der zweiten Nachtwache betrachtete er aufmerksam das abhängige Entstehen in umgekehrter Reihenfolge:
Wenn dieses nicht besteht, ist jenes nicht; aufgrund des Aufhörens von diesem, hört jenes auf. Das heißt: Wenn Unwissenheit endet, enden Entscheidungen. Wenn Entscheidungen enden, endet Bewusstsein. Wenn Bewusstsein endet, enden Name und Form. Wenn Name und Form enden, enden die sechs Sinnesfelder. Wenn die sechs Sinnesfelder enden, endet Berührung. Wenn Berührung endet, endet Gefühl. Wenn Gefühl endet, endet Verlangen. Wenn Verlangen endet, endet Ergreifen. Wenn Ergreifen endet, endet fortgesetztes Dasein. Wenn fortgesetztes Dasein endet, endet Wiedergeburt. Wenn Wiedergeburt endet, enden Alter und Tod, Trauer, Klage, Schmerz, Traurigkeit und Bedrängnis. So endet die ganze Masse des Leidens.”
- Solche Übersetzungen existieren seit vielen Jahren, ohne dass jemand nach ihrer offensichtlichen Unrichtigkeit fragt.
Verrückte Diskussionen in Foren
3. Es gibt zum Beispiel eine Diskussion bei Dhamma Wheel: „Do Arhats experience contact with their sixfold sense media? What about vedanā?„ Diese zeigt deutlich die Verwirrung, welche durch obige Übersetzung aufkommt.
- Die Übersetzung in Nr. 2 oben sagt deutlich, dass, wenn Unwissenheit (avijjā) endet, Entscheidungen (saṅkhāra), Bewusstsein (viññāṇa) und die restlichen PS-Bestandteile aufhören zu existieren.
- Wir sind uns alle einig, dass Buddha und Arahants keine Spur von Avijjā haben (Unwissenheit über die vier edlen Wahrheiten).
- Dann würden sie gemäß den Übersetzungen in Nr. 2 oben keine Saṅkhāra mehr erzeugen und kein Bewusstsein haben (viññāṇa). Das heißt, sie würden eigentlich nicht leben! Das hat die Teilnehmer im Diskussionsforum verständlicherweise verwirrt.
- Wir wissen, dass der Buddha noch 45 Jahre nach seiner Erleuchtung lebte. Er erlebte alle sechs Sinnesfähigkeiten, setzte sie optimal ein und hatte den besten Geist. Er konnte sich an jedes Ereignis in der Vergangenheit erinnern, soweit er wollte. Aber er fühlte auch Vedanā, einschließlich Dukha Vedanā (er hatte Rückenprobleme und wurde einmal von Devadatta verletzt).
4. Also, wo ist das Problem? Ist was falsch mit der Sutta?
- Das Sutta ist vollkommen in Ordnung. Solche Probleme entstehen, wenn Übersetzer anfangen, Pāli–Suttas Wort für Wort zu übersetzen, ohne die grundlegenden Konzepte im Buddha-Dhamma zu beachten (oder zu verstehen).
- Viele Suttas liegen in der stark verdichteten Uddesa-Form vor. Es gibt drei Ebenen der Erklärung: siehe Sutta Interpretation – Uddēsa, Niddēsa, Paṭiniddēsa.
- Die Niddēsa-Form bietet eine leicht erweiterte Erklärung. Die Paṭiniddēsa-Form liefert Details mit Beispielen. Wenn jemand versucht, die Uddesa-Form Wort für Wort ins Englische oder Deutsche zu übersetzen, führt dies zu schwerwiegenden Problemen, wie oben in Nr. 2 und 3 gezeigt.
- Schlüsselwörter haben je nach Kontext unterschiedliche Bedeutungen. Zum Beispiel kann viññāṇa nicht in allen Fällen als „Bewusstsein“ übersetzt werden, da es viele Arten von viññāṇa gibt (zum Beispiel sind vipāka viññāṇa und kamma viññāṇa sehr verschieden). Man muss also jeweils wissen, welches Viññāṇa gemeint ist.
Wie kann man Paṭicca Samuppāda durch Lesen der Uddesa-Form verstehen?
5. Im Saṁyutta Nikāya 12 werden oft die Schritte von Paṭicca Samuppāda genannt. Es ist völlig unklar, wie man Paṭicca Samuppāda verstehen soll, wenn man diese Übersetzungen liest!
- In all diesen Fällen wird der Standard-Vers im Paṭiloma (rückwärts) Paṭicca Samuppāda wie folgt übersetzt („avijjā nirodhā saṅkhāranirodho, saṅkhāra nirodhā viññāṇa nirodho,“): „Wenn Unwissenheit schwindet und restlos aufhört, hören Entscheidungen auf. Wenn Entscheidungen aufhören, hört Bewusstsein auf …„
- Hat der Buddha das Bewusstsein verloren, als er die Buddhaschaft erlangte? Verliert ein Arahant das Bewusstsein, wenn er die Arahanschaft erreicht? Wir wissen, dass der Buddha nach der Erleuchtung noch 45 Jahre lebte, und viele Arahants lebten noch lange Zeit nach der Arahanschaft und lehrten das Dhamma.
- Das Problem ist noch schlimmer, denn es spielt keine Rolle, wer der Übersetzer ist. Alle Übersetzungen haben die gleiche direkte Wort-für-Wort-Übersetzung.
Das Problem der Wort-für-Wort-Übersetzungen ist viel tiefgreifender
6. Natürlich ist das Problem noch gravierender. Auch Anuloma (Vorwärts) Paṭicca Samuppāda ist mit solchen Wort-für-Wort-Übersetzungen unverständlich.
- Die Sutta in Referenz 2 (und alle Suttas der Liste in Nr. 5) sagt: „avijjā paccayā saṅkhārā, saṅkhāra paccayā viññāṇaṁ..“, was übersetzt wird als „Unwissenheit ist eine Bedingung für Entscheidungen. Entscheidungen sind eine Bedingung für Bewusstsein…„
- Es gibt viele Arten von Saṅkhāra. Einige entstehen aufgrund von Avijja, aber Arahants, die kein Avijjā haben, erzeugen andere Arten von Saṅkhāra.
Was sind „Wahlmöglichkeiten“, „Entscheidungen“ und „Willensformationen“?
7. Ein weiteres Problem ist die Übersetzung von Saṅkhāra als „Wahlmöglichkeiten“, „Entscheidungen“ oder „Willensformationen“. Niemand hat erklärt, was diese Worte bedeuten. Hier ist ein Beispiel, wo die Frage aufkam und eine „Nicht-Antwort“ gegeben wurde: „Explaining sankhāra= “choices“. Hier ist eine weitere Diskussion ohne Lösung: “The way I analyzed Saṅkhāra.”
- Manosaṅkhāra (definiert als vedanā und saññā) entstehen mit jedem Sinnesreiz. Somit enthält jedes Vipākaviññāṇa auch Manosaṅkhāra.
- Jedoch sind im PS-Schritt „avijjā paccayā saṅkhārā“ tiefergehende Abhisaṅkhāra gemeint. Wir akkumulieren Kamma aufgrund von Denken, Sprechen und Handeln, was auf Abhisaṅkhāra basiert. Das ist die Niddesa-Erklärung. Somit entsteht Kammaviññāṇa aufgrund von Abhisaṅkhāra.
- Für einen Arahant endet das Entstehen von Kammaviññāṇa. Er/sie erlebt jedoch weiterhin Vipākaviññāṇa.
8. Anders ausgedrückt: Jeder (auch ohne grundlegendes Verständnis des Buddha-Dhamma) kann Wort-für-Wort-Übersetzungen anfertigen. Es geht nur darum, ein Wörterbuch zu haben und Wort für Wort zu übersetzen. Aber das führt zu Verwirrung, wie oben gesehen.
- Viele Standard-Wörterbücher wurden von frühen europäischen Gelehrten wie Rhys Davids zusammengestellt. Sie hatten kein Verständnis für die tiefgründigen Lehren des Buddha und lernten Pāli (und Sanskrit) von den Einheimischen und übersetzten dann den Tipiṭaka Wort für Wort!
- Das ist so, als würde man mit einfachen Kenntnissen in Französisch und Englisch ein Lehrbuch über Medizin vom Französischen ins Englische übersetzen! Würde das gutgehen?
Niddesa-Form der Erklärung
9. Die Schritte im Paṭiloma Paṭicca Samuppāda (in der Sutta von Nr. 2 oben) sind in der Uddesa-Form (Äußerung). Das ist zum Rezitieren geeignet. Diese Schritte bedürfen aber einer Erklärung in Niddēsa oder Paṭiniddēsa (ausführliche Erklärung).
10. In der Niddēsa-Form würden die Schritte so lauten: „.. wenn avijjā endet, enden abhisaṅkhāra, wenn abhisaṅkhāra enden, endet kamma viññāṇa; wenn kamma viññāṇa endet, enden nāmarūpa; wenn nāmarūpa enden, enden saḷāyatana; wenn saḷāyatana enden, endet samphassa; wenn samphassa endet, endet samphassa-jā-vedanā; wenn samphassa-jā-vedanā endet, endet taṇhā; wenn taṇhā endet, endet upādāna; wenn upādāna endet, endet bhava; wenn bhava endet, endet jāti; wenn jāti endet, enden jarāmaraṇaṁ sokaparideva dukkha domanassupāyāsā. Damit endet die ganze Masse des Leidens.
- Jetzt erscheint etwas Klarheit bzgl. der Frage im Dhamma Wheel Forum in Nr. 3 oben aufzukommen.
- All die Begriffe in blau enden für einen Arahant. Aber der Arahant wird Vipākaviññāṇa (Bewusstsein über die sechs Sinne) und normale Gefühle erleben (vedana), die mit diesem Bewusstsein entstehen.
- Natürlich bezieht sich Jāti im Uppatti Paṭicca Samuppāda auf zukünftige Geburten. Alle Geburten unterliegen Alter, Verfall, Leiden und schließlich Tod. So wird auch ein Arahant dem Verfall des Körpers bis zum Tod nicht entkommen. Danach gibt es keine erneute Geburt und kein Leiden mehr!
11. Wichtige Pāli-Wörter in Nr. 10 oben sind nicht übersetzt. In vielen Fällen gibt es keine entsprechenden englischen oder deutschen Wörter!
Warum sehen andere den „Elefanten im Raum“ nicht?
12. Wie konnten solche offensichtlichen Widersprüche so lange unbemerkt bleiben? Wir werden das vielleicht nie ganz verstehen, aber es liegt wohl an mehreren Faktoren.
- Viele Menschen, die sich dem Buddhismus zuwenden, akzeptieren vielleicht bestimmte Konzepte, ohne nach Widersprüchen zu suchen. Manche denken vielleicht, der Buddhismus habe „mystische Züge“, die sie nicht hinterfragen sollten.
- Ein weiterer Grund ist der hohe Respekt der Menschen gegenüber Bhikkhus und Gelehrten, die „Bücher“ über den Buddhismus schreiben. Während die Ehrung von Bhikkhus zweifellos vorbildlich ist, lehrte uns der Buddha, nicht einmal seinen eigenen Worten zu glauben, ohne Fragen zu stellen, um jedes zweifelhafte Konzept zu klären.
- Aber der Hauptgrund, warum die meisten Europäer den Elefanten nicht sehen, ist wohl der Folgende. Die meisten verstehen nicht, dass Wörter wie saṅkhāra und viññāṇa nicht einfach wortwörtlich mit „Formationen“ und „Bewusstsein“ übersetzt werden können. Sie haben nicht einmal eine grundlegende Vorstellung von Paṭicca Samuppāda.
- Jüngste Kommentare in Diskussionsforen haben mich zu der obigen Schlussfolgerung geführt. Egal, wie offensichtlich der Irrtum ist, es wird am etablierten Glauben festgehalten. Es wird nicht mal ein Problem zugegeben.
Referenzen
1. Vers aus Dutiyabodhi Sutta (Ud 1.2):
“Atha kho bhagavā tassa sattāhassa accayena tamhā samādhimhā vuṭṭhahitvā rattiyā majjhimaṁ yāmaṁ paṭiccasamuppādaṁ paṭilomaṁ sādhukaṁ manasākāsi:
Iti imasmiṁ asati idaṁ na hoti, imassa nirodhā idaṁ nirujjhati, yadidaṁ—avijjā nirodhā saṅkhāranirodho, saṅkhāra nirodhā viññāṇa nirodho, viññāṇa nirodhā nāmarūpa nirodho, nāmarūpa nirodhā saḷāyatana nirodho, saḷāyatana nirodhā phassa nirodho, phassa nirodhā vedanā nirodho, vedanā nirodhā taṇhā nirodho, taṇhā nirodhā upādāna nirodho, upādāna nirodhā bhava nirodho, bhava nirodhā jāti nirodho, jāti nirodhā jarāmaraṇaṁ sokaparidevadukkhadomanassupāyāsā nirujjhanti. Evametassa kevalassa dukkhakkhandhassa nirodho hotī”ti.
2. Vers aus der Paṭhamabodhi Sutta (Ud 1.1):
“Atha kho bhagavā tassa sattāhassa accayena tamhā samādhimhā vuṭṭhahitvā rattiyā paṭhamaṁ yāmaṁ paṭiccasamuppādaṁ anulomaṁ sādhukaṁ manasākāsi:
Iti imasmiṁ sati idaṁ hoti, imassuppādā idaṁ uppajjati, yadidaṁ—avijjā paccayā saṅkhārā, saṅkhāra paccayā viññāṇaṁ, viññāṇa paccayā nāmarūpaṁ, nāmarūpa paccayā saḷāyatanaṁ, saḷāyatana paccayā phasso, phassa paccayā vedanā, vedanā paccayā taṇhā, taṇhā paccayā upādānaṁ, upādāna paccayā bhavo, bhava paccayā jāti, jāti paccayā jarāmaraṇaṁ sokaparidevadukkhadomanassupāyāsā sambhavanti. Evametassa kevalassa dukkhakkhandhassa samudayo hotī”ti.”