Erstaunlicher Geist – Kritische Rolle von Nāmagotta (Erinnerung)

1. Hier betrachten wir die kritische Bedeutung von Nāmagotta (unsere Erinnerungen). In einigen Sutta wird es als ein Wort zusammengeschrieben, enthält aber nāma + gotta.

  • Wenn jemand einer Person X einen Apfel zeigt, weiß diese: „Das ist ein Apfel. Ich weiß, wie er riecht und schmeckt.“ Angenommen, X verliert unmittelbar danach die komplette Erinnerung. Wird X den Apfel erkennen? Natürlich nicht.
  • Erinnerung ist eine weitere erstaunliche Tatsache. Der Geist kann nach früheren Erfahrungen mit einem bestimmten Objekt suchen und sich daran erinnern. Und das geschieht innerhalb von Sekundenbruchteilen!

2. Denken wir sorgfältig über Folgendes nach: Wenn Person X alle Erinnerungen verliert, weiß sie nicht, was ein Teller ist und was man damit tut. Der Geist würde keinen Zusammenhang zu Essen herstellen.

  • Falls X an der Arbeit ist, wenn der Gedächtnisverlust eintritt, weiß X nicht, ob er/sie ein Zuhause hat und wie man dorthin kommt.
  • Falls der Drang zur Toilette kommt, weiß X nicht, ob es eine Toilette gibt und was er/sie dort tun muss.
  • Es gibt zig Millionen Dinge, die wir jeden Tag für selbstverständlich halten und die für X unmöglich wären. Tatsächlich wird X überhaupt nicht mehr ohne Hilfe klarkommen!

Neun Stufen eines Gedankens (Citta)

3. Aus diesem Grund erkennt ein Baby im Alter von wenigen Monaten fast nichts und hat keine Kontrolle über „Badezimmeraktivitäten“.

4. Nehmen wir nun an, Person X beißt ohne Erinnerung in einen Apfel. Natürlich wird er/sie die Süße schmecken. Aber X wird keinen „Apfelgeschmack“ identifizieren.

  • X kann nicht einmal eine Vorliebe oder den Wunsch erzeugen, einen weiteren Bissen zu nehmen, es sei denn, er/sie ist hungrig.
  • Das beweist auch, dass Verlangen nach „Apfelgeschmack“ nicht im Apfel selbst zu finden ist, sondern dass Verlangen mit den Asava verbunden ist. Diese Asava können nicht an die Oberfläche kommen, wenn keine Erinnerungen darüber vorhanden sind bzw. abgerufen werden können.

5. Wenn die Erinnerungen verloren sind, werden Vēdanā und Saññā von Person X dem „nicht kontaminierten“ pabhassara Citta ziemlich nahe kommen. X erlebt nur Geschmack (ohne Erkennen von „Apfel“). Dabei wird kein sōbhana oder asōbhana Cetasika erzeugt, da kein passendes Gathi aufgerufen wird.

  • Aber natürlich ist X trotzdem kein Arahant. Die Anusaya liegen immer noch verborgen im Geist, wie bei einem Baby, was noch nicht viel von der Welt wahrnimmt und auch keinen optimalen Zugriff auf die Geistebene hat.

6. Tatsächlich gibt es Menschen, die wie X die Erinnerung verlieren, siehe das Buch Der Patient H. M.: Eine wahre Geschichte von Erinnerung und Wahnsinn, von Luke Dittrich.

  • Im Nāmalōka gespeicherte Erinnerungen können nur über die Mana Indriya im Gehirn abgerufen werden, solange sich die Gandhabba im physischen Körper befindet.
  • Beim Patienten H.M. aus dem obigen Buch haben die Chirurgen offensichtlich versehentlich einen Teil des Gehirns entfernt, der die Mana Indirya enthielt (die Chirurgen versuchten, regelmäßige epileptische Anfälle des Patienten zu stoppen, indem sie einen Teil vom Gehirn entfernten). Weitere Studien in der Zukunft können möglicherweise die Mana Indriya im Gehirn lokalisieren.

7. Das Gehirn eines Baby ist noch nicht so weit entwickelt, um alle Informationen zu verarbeiten, die als Sinneseindrücke hereinkommen.

  • Daher kann das Gehirn eines Babys nichts allzu Nützliches zur Hadaya Vatthu (Sitz des Geistes) übertragen, um Objekte zu identifizieren und Verlangen oder Abneigung basierend auf dem Gathi auszulösen.
  • Die versteckten Anusaya eines Babys zeigen sich erst, wenn das Gehirn besser entwickelt ist. Die Gehirnfunktionen erreichen ihre volle Kapazität ungefähr im Alter von 7 Jahren: Man kann damit Arahantschaft erreichen, wenn man über 7 Jahre alt ist.

8. Wir können eine gute Vorstellung davon bekommen, wie der Geist eines Arahant funktioniert, indem wir an die Erfahrung von X denken, der all seine Erinnerungen verlor. Der einzige Unterschied ist, dass im Fall von X alle seine Anusaya intakt sind, aber nicht „ausgelöst“ werden können.

  • Der Arahant hat aber alle Gati und Asava/Anusaya durch Kultivierung von Paññā entfernt. Aber natürlich sind alle Erinnerungen intakt. Mit entsprechenden Abhiññā-Kräften wird der Arahant auch vergangene Leben erinnern.

9. Die meisten Verlangen hängen mit früheren Gewohnheiten und Verlangen zusammen. Jede Person hat ihren eigenen „Koffer“ voller Gewohnheiten und Verlangen, der sich im Laufe der Zeit ständig verändert.

  • Alle Gati und Asava entstehen aufgrund der Unfähigkeit, Unreinheiten des Geistes loszuwerden, weil man die wahre Natur dieser Welt nicht kennt: anicca, dukkha, anatta, asubha, adinava usw.
  • Wenn man auf dem edlen Pfad beginnt, wird man nach und nach „schlechte Gati“ los und gleichzeitig „gute Gati“ kultivieren. Dann wird man irgendwann die Anicca-Natur verstehen und Paññā wird wachsen. Die Anusaya/Asava werden in vier Stufen dauerhaft entfernt.

10. Angenommen X ist ein junger Mann, der seine Erinnerungen verloren hat. Wenn er eine attraktive Frau sieht, wird er sie als attraktive Person erkennen. Aber er wird keine Lust für die Person erzeugen, egal wie schön sie ist. Es ist nur „Sehen“.

  • Dieses „Bild“ einer attraktiven Person kann X nicht mit früheren Erfahrungen vergleichen. Sein Kāmarāga Anusaya ist noch immer vorhanden, aber es kann nicht ausgelöst werden.
  • X wird auch keine Wut erzeugen, wenn er „einen Feind“ sieht. Er hat einfach keine Erinnerung an „Feinde“.
  • Ebenso könnte X ein glühendes Eisen berühren, weil ihm nicht klar ist, dass es zu Schmerzen führt.
  • Darum ergreifen Kleinkinder auch jeden Gegenstand, egal ob gefährlich oder nicht: Sie haben keine abrufbare Erfahrung.

11. Heutzutage gibt es viele „Philosophen“ (wie Ekhart Tolle oder sogar buddhistische Lehrer), die sagen: „Vergiss die Vergangenheit und lebe im Moment“.

  • Das ist völliger Unsinn.
  • Man kann die Vergangenheit nicht vergessen und in der Gegenwart leben. Der Buddha sagte, dass man den aktuellen Moment achtsam erleben sollte, um keine schlechten Entscheidungen zu treffen, wie man es vielleicht in der Vergangenheit gewohnheitsmäßig tat.
  • Der Buddha hatte das perfekte Gedächtnis. Er konnte sich so weit zurückerinnern, wie er wollte. Oft erklärte er, was in früheren Leben eines Menschen geschah, und wie man daraus lernen kann.

12. Zu Beginn der Mahāmālukya Sutta (MN 64) weist der Buddha darauf hin, dass Sakkāya Ditthi in einem Neugeborenen nicht entstehen kann: Es gibt einfach keine Möglichkeit, versteckte Anusaya auszulösen.

  • Aus der deutschen Übersetzung von Mettiko Bhikkhu [2001]: „Denn ein junges, zartes Kleinkind, das unbeholfen daliegt, hat noch nicht einmal die Vorstellung von ,Persönlichkeit‘, also wie könnte da Persönlichkeitsansicht (sakkāyadiṭṭhi) in ihm erscheinen? Und doch steckt in ihm die zugrundeliegende Neigung zur Persönlichkeitsansicht.“
  • Der Pāli-Vers lautet: Daharassa hi, mālukyaputta, kumārassa mandassa uttānaseyyakassa sakkāyotipi na hoti, kuto panassa uppajjissati sakkāyadiṭṭhi? Anusetvevassa sakkāyadiṭṭhānusayo.

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