1. Sanna wird in der Regel als „Wahrnehmung“ übersetzt, aber es hat eine viel tiefere Bedeutung. Siehe den ersten Teil Anicca Sanna kultivieren. Anicca Sanna hat viele verschiedene Aspekte.
- Wenn man darüber liest, macht es Sinn zu sagen, dass Anicca bedeutet, „dass wir nichts zu unserer Zufriedenheit aufrechterhalten können“. In den gegebenen Beispielen kann man diese Wahrheit auch erkennen. Aber das ist nur der Anfang. Man ist gerade so darüber informiert, was Anicca ist. Nun muss man lernen, es „mit Weisheit zu sehen“, um Sotapanna zu werden. Das nennt man Dassanena Pahathabba bzw. „die Dinge sehen, wie sie sind“.
- Dazu entwickelt man Anicca Sanna. Der Geist muss das Wesen bzw. die korrekte Wahrnehmung begreifen, was Anicca impliziert. Buchwissen ist eine Sache, „Erfassen mit dem Geist“ geht viel tiefer.
- Im vorigen Text konnten wir sehen, dass es nicht möglich ist, den Körper und die Gedanken zur Zufriedenheit zu erhalten.
2. Bei externen Objekten gibt es viele „Ebenen von Sanna“: Je mehr man über ein Objekt weiß, desto besser wird Sanna darüber.
- Angenommen eine Person aus einer abgelegenen Region im Amazonas-Regenwald hat noch nie einen Apfel gesehen. Wird der Person ein Apfel gezeigt, würde sie nicht wissen, was es ist. Wenn man ihr den Apfel gibt und erklärt, wie das Wort „Apfel“ gesprochen wird, weiß die Person, was ein Apfel ist. Das Wissen ist aber begrenzt auf die Form und das Wort. Der Geschmack ist noch unbekannt. Die Person könnte ein paar Äpfel essen und eine Vorstellung vom Geschmack bekommen. Dann weiß sie vielleicht noch nicht, wie reife Äpfel schmecken und das diese besser schmecken oder wie man einen reifen Apfel erkennt. All das erkennt die Person erst, wenn sie verschiedene reife Äpfel gekostet hat.
- Die Stufe des Verstehens über Äpfel lassen Apfel-Sanna anwachsen.
3. In einem anderen Beispiel sehen wir jemand (X) regelmäßig bei der Arbeit, aber in einer gewissen Entfernung. Am Wochenende sehen wir ihn auf dem Gemüsenmarkt. Aber wir wissen kaum etwas über die Person. Wenn wir jedoch Kontakt aufnehmen und ins Gespräch kommen, beginnen wir, sehr viel mehr zu wissen.
- Sanna kann also auf verschiedenen Ebenen in unterschiedlichem Ausmaß wachsen. Je mehr man sich mit einer Thematik beschäftigt, umso stärker wird Sanna darüber.
- Es ist jedoch möglich, dass Sanna über Person X nicht korrekt ist. Eines Tages findet die Polizei Video-Beweise, dass X ein Kinderschänder ist. In diesem Moment ändert sich unsere Sanna über X dauerhaft. Wir werden nicht mehr mit ihm in Kontakt sein wollen oder unsere Kinder in seinem Garten spielen lassen.
4. Der Buddha sagte, dass unsere Sanna über „diese Welt“ eine vipareetha Sanna ist, d.h. sie ist eine verzerrte oder falsche Wahrnehmung. Wenn man sorgfältig den Kreislauf der Wiedergeburten in den 31 Reichen untersucht, kann man erkennen, dass die Sanna vom „möglichen Glück“ in dieser Welt falsch ist und dass es auf lange Sicht sogar gefährlich ist, in Sansara zu bleiben.
- Mit Erfassen der Anicca-Natur zu einem gewissen Grad schwindet diese falsche Wahrnehmung. Dann erreicht man die Grundstufe von Samma Ditthi oder die „korrekte Sichtweise“ über diese Welt. Man wird zum Sotapanna.
- Genau wie ein Fisch nicht den „versteckten Haken“ sieht, sondern in den schmackhaften Wurm beißt, sehen wir nicht das Leiden, was mit den „schmackhaften materiellen Dingen“ verbunden ist. Ein Fisch wird nie in der Lage sein, das herauszufinden. Als normaler Mensch wird man es ebenso kaum schaffen. Dazu braucht es einen Buddha, der es tut und lehrt. Wir müssen dann „nur“ die Sanna darüber maximieren und damit jedes Interesse an weltlichen Dingen verlieren.
5. Man sollte sich nicht entmutigen lassen, wenn man nicht einmal erkennen kann, was eigentlich „die große Sache“ bezüglich Anicca ist. Wie alles andere auch, kommt Verständnis durch wiederholte Anwendung und Nachdenken. Wenn man zunächst begreift, dass es Sinn macht zu sagen: „Anicca beschreibt die Unfähigkeit irgendetwas zur Zufriedenheit auf lange Sicht zu erhalten“, dann ist das ein guter Start. Dann sollte man bei jeder Gelegenheit die Gültigkeit dieses Konzepts im wirklichen Leben prüfen.
- Es gibt viele weitere Implikationen, die aus Anicca hervorgehen. Ein anderer Weg, den der Buddha beschrieb, war der Begriff Atteeyathi, d.h. „es ist wie ein Hund, der auf einem fleischlosen Knochen kaut“. Der Hund denkt stark an „seinen Knochen“ und schätzt den „Geschmack“. Aber es gibt nicht einmal einen wirklichen Geschmack an diesem Knochen. Der Geist bildet sich den Geschmack ein.
6. Genau wie ein Hund, der Stunden an seinem geschätzten Knochen kaut, geben wir uns den Sinnesvergnügen hin, die in ihrer Natur flüchtig sind. Wir bekommen kurze Episoden des Glücks, aber erkennen nicht die Mühe und das Leiden, was damit verbunden ist. Die meiste Zeit des Vergnügens ist „Vorfreude“. Wir quälen uns mit langen Arbeitszeiten, nur um uns auf eine kurze mögliche Zeit des Glücks zu freuen. Dann ist es aber schnell vorbei und wir beginnen von vorn.
- Der Buddha verglich dies mit einer Kuh, die einen schweren Wagen mit Eifer zieht, nur um an den Strohhaufen zu kommen, der vor ihr hängt. Sie erkennt nicht die Vergeblichkeit ihrer Anstrengungen, weil sie nur den möglichen „Preis“ vor Augen sieht. Vielleicht fühlt sie nicht mal die schwere Last oder ignoriert den Schmerz in Vorfreude auf die „Belohnung“. Es sind doch nur ein paar Schritte …
- Wasser schmeckt am besten, wenn man durstig ist. Dann schmeckt der erste Schluck Wasser himmlisch. Aber während der Durst vergeht, vergeht auch das „Gefühl der Freude“. Nach spätestens zwei Gläsern wird es vielleicht sogar unbehaglich mehr zu trinken.
7. Gleiches gilt für die Sinnesfreuden. Wir stehen ständig unter Druck vom Geist, „Erleichterung für die Sinnfähigkeiten zu schaffen“. Das ist Dukkha Dukkha. Wenn wir für eine Weile nicht gegessen haben, steigt der Drang, etwas Schmackhaftes zu essen. Wenn wir für eine Weile keine Musik gehört haben, möchten wir das Radio einschalten, usw.
- Viele Menschen schätzen sexuelle Vergnügen. Aber wie lange kann man das Vergnügen genießen? Die meiste sexuelle Lust stillt man durch Nachdenken im Vorfeld. Wieviel Zeit verbringen wir mit dem „Fantasieren“ im Vergleich zum „eigentlichen Sex“?
- Auch wenn wir die köstlichsten Speisen der Welt essen, wird es nicht gut schmecken, wenn der Magen gefüllt ist. Aber wir denken danach noch oft an dieses köstliche Mahl und bilden den Wunsch, es wieder zu tun.
- Dieses „Gefühl der Unzufriedenheit“ oder sogar das Gefühl, dass „etwas fehlt“, sind Atteeyathi. Der Hund wird irgendwann müde den Knochen zu kauen und lässt ihn liegen. Aber nach einer Weile kommt der Drang zurück.
8. Selbst wenn wir vollkommen zufrieden auf einem bequemen Bett liegen, kommt irgendwann das „Gefühl von Unerfülltsein“ und „es fehlt etwas“. Dann taucht die Idee auf, einen Film anzuschauen oder einen Freund zu besuchen. Das setzt sich immer weiter fort und wir finden uns immer wieder im Kampf um Erholung.
- Das ist Atteeyathi. Genau das tun wir Leben für Leben im Menschen-Reich. Manche Menschen erkennen diese Vergeblichkeit schließlich im Alter, aber dann ist es meist zu spät. Im Alter sinkt die Fähigkeit, Freude aus solchen Aktivitäten zu gewinnen, gegen null.
- Aber die meisten Leute denken noch immer zurück an vergangene Vergnügen, als sie jung waren. Dies kann sie auch veranlassen, nach Möglichkeiten zu suchen, irgendwie diese Erfahrungen nochmal zu erleben. Wenn das nicht klappt, kann man auch noch depressiv werden.
9. Wenn der Geist endlich die Last der „unaufhörlichen Not“ (Pilana) erkennt und dass man das alles ohne wirklichen Nutzen ausgehalten hat, wird man gerne diese Belastungen aufgeben und der Geist verliert automatisch das Verlangen. Siehe Die unaufhörliche Not (Pilana).
10. Das sind Schlüsselkonzepte, über die man meditieren muss. Das ist echte Vipassanā Bhavana.
- Allerdings ist es wichtig, die üblichen fünf Gebote und möglicherweise die großen Acht einzuhalten, siehe 2. Die Grundlagen der Meditation. Andernfalls wird der Geist nicht ruhig genug sein, um diese Konzepte zu erfassen. Der Unterschied zwischen „Buchwissen“ und „Entwicklung von Anicca Sanna“ wird dann langsam klar.
- Lesen, Hören und Nachdenken über Dhamma-Konzepte ist entscheidend. Dies ist eine Komponente der Satta Bojjanga (Dhamma Vicaya) und einer der Cattārō Iddhipāda, nämlich Vimansa. Siehe Cattārō Iddhipāda und 11. Magga Phala und Ariya Jhanas durch Kultivierung von Satta Bojjanga.
- Dieser Prozess begleitet den ganzen Weg bis zur Arahantschaft. Es wird gesagt, dass man Anicca nur auf der Arahant-Stufe wirklich versteht.