Wir können sehen, wie das Wort „anatta“ als „kein Selbst“ falsch übersetzt wurde, indem wir die verschiedenen Verwendungen des Wortes „atta“ sorgfältig untersuchen.
- Es gibt „atta“, was sich von „attā“ unterscheidet (mit einem „langen a“ am Ende). Anatta ist das Gegenteil von „atta“, nicht von „attā“.
- Das Sanskrit-Wort anātma wurde fehlinterpretiert als anatta. Das Sanskrit-Wort anātma bedeutet zwar „keine Seele“, aber der Buddha hat es NIEMALS verwendet. In ähnlicher Weise ist anitya ein Sanskrit-Wort („unbeständig“), aber das ist nicht mit dem Pali-Wort anicca gemeint.
1. Atta hat zwei Bedeutungen:
- Die eine Bedeutung ist weltlich: „ich“ oder „selbst“ wie im ersten Vers von Dhammapada 160: „attā hi attanō nātho“ („nur ich kann meine Rettung sein“ bzw. „jeder ist seine eigene Zuflucht“).
- Die andere (tiefer gehende) Bedeutung von „atta“ ist „die Kontrolle haben“ bzw. „hat Essenz“. Das Gegenteil davon ist anatta (na+atta) wie in den Tilakkhana: „man ist hilflos in diesem Wiedergeburtsprozess.“
- Diese beiden Bedeutungen werden in attā hi attanō nāthō erklärt.
2. Das Verstehen eines Konzepts ist etwas anderes als Auswendiglernen. Man muss nur die Bedeutung von saññā verstehen; siehe Sanna – Wahrnehmung.
- Atta/anatta sind wichtige Pāli-Wörter, welche die Tilakkhana betreffen. Daher ist es wichtig, die korrekte Saññā bzw. die richtige Wahrnehmung zu haben.
A. Atta als „eine Person“ versus „Essenz“ oder „Wahrheit„
3. Viele Missverständnisse über „Selbst“ und „Nicht-Selbst“ lassen sich verstehen, wenn man einen systematischen Blick darauf wirft, wie das Pāli-Wort „atta“ im konventionellen Sinn und im tieferen Sinn (mit unterschiedlichen Bedeutungen an verschiedenen Stellen) verwendet wird.
- „attā“ (mit einem „langen a“ am Ende) wird verwendet, um eine Person zu bezeichnen: Es gibt kein Wort für die Negation von „attā“.
- In Singhalesisch wird es als අත්තා geschrieben. So steht es in Sinhala Schrift im Pāli Tipiṭaka.
- Obwohl attā diese Bedeutung als „Person“ hat, wird anatta nie als das Gegenteil von diesem attā verwendet.
- Aussprache:
4. Das Wort „atta“ (mit einem „kurzen a“ am Ende) bedeutet „Essenz“ oder „die Wahrheit, die zeitlos ist.“ Die Negation ist „anatta„.
- In Singhalesisch werden sie als අත්ථ und අනත්ථ geschrieben. So erscheinen sie im Pāli Tipiṭaka mit singhalesischer Schrift geschrieben.
- Aussprache der beiden Wörter:
- Es gibt auch eine dritte Bedeutung (vor allem, wenn es als „attha“ geschrieben wird, mit einer Betonung am Ende), die eng mit der obigen zweiten Bedeutung verwandt ist:
- Das singhalesische Wort für attha ist „artha„, was bedeutet: „Wahrheit“ oder „das, was Sinn macht“. Das Gegenteil in Singhalesisch ist „anartha“, was betont, dass anartha „nicht sinnvoll“ ist. In Sinhala werden sie als „අර්ථ“ und „අනර්ථ“ geschrieben.
- Aussprache der beiden Wörter:
Ich hoffe, die Unterschiede in der Aussprache sind erkennbar.
- Anatta ist die Negation der letzten beiden Bedeutungen: na + atta (was sich auf „anatta“ reimt): „es hat keine Essenz“ oder „es enthält keine letzte Wahrheit“.
5. Jemand, der sich mit Dingen beschäftigt, die anatta oder anartha sind, wird anātha (hilflos), das Gegenteil von nātha. Wie in dem Text attā hi attanō nāthō erwähnt wurde, ist „nātha“ ein anderes Wort für Nibbāna.
- Jemand, der versucht, in dieser Welt Zuflucht zu finden, wird auf Dauer wahrlich hilflos sein. Andererseits ist die einzige Zuflucht (nātha) Nibbāna, d.h. die Überwindung des Wiedergeburtsprozesses.
- Daher kann atta/anatta ins Singhalesische als artha/anartha übersetzt werden. Beide vermitteln die tiefere Bedeutung: „Essenz/keine Essenz“, „wahr/falsch“, „nützlich/nicht nützlich“, „Zuflucht/ohne Zuflucht“, „unter Kontrolle/hilflos“, „wertvoll/wertlos“ usw.
6. Auf der anderen Seite wird das Wort „attā“ (ausgesprochen mit einem „langen a“ am Ende) als „ich“ nur im konventionellen Sinn verwendet. Um mit anderen zu kommunizieren, müssen wir Dinge sagen wie: „Man muss sich verteidigen.“ Hier existiert „man“ nur im konventionellen Sinn.
- Es gibt kein einziges Pāli-Wort, um die Negation davon auszudrücken, d.h. „nicht attā“; wenn es ein solches Wort gäbe, dann wäre das „Nicht-Person“. Es kann schlicht nicht auf diese Weise verwendet werden.
- Wie weiter unten erwähnt, gibt es andere Wörter mit der Bedeutung von „ich“ oder „selbst“: mama, asmi, mē.
7. Daher war der entscheidende Fehler, dass man anatta strikt als das Gegenteil von „attā“ übersetzte, mit der konventionellen Bedeutung von „eine Person“ oder „selbst“.
- Das Wort anatta hat aber IMMER die tiefere Bedeutung von „keine Wahrheit“ oder „keine Essenz“. Anatta ist eine Tatsache, die darauf hinweist, dass es in dieser Welt der 31 Reiche keine ultimative Essenz oder Wahrheit gibt.
- Im konventionellen Sinn wird attā verwendet, um „eine Person“ zu bezeichnen. Es gibt kein Pāli-Wort, was ein Antonym dazu wäre.
8. In Bezug auf anatta in den Tilakkhana kann „atta“ auch als „ultimative Wahrheit“ bezeichnet werden („sathya“ in Singhalesisch und Sanskrit). Diese Wahrheit ist die anicca-Natur dieser Welt.
- Daher ist diese ganze Welt von anatta-Natur, sie hat „keine Essenz“ und es gibt nichts von Wert zu haben. Wenn man also versucht, Werthaltiges in dieser Welt zu finden und zu erhalten, wird man letztlich nur im Leid enden.
- Jeder, der sich um dieses unmögliche Ziel bemüht, ist wahrlich hilflos.
- All die obigen Aussagen vermitteln die Bedeutung von anatta. Das ist die anzustrebende korrekte Saññā.
9. Wenn man hingegen nach „angenehmen Dingen in dieser Welt“ strebt, in der Annahme, dass deren Natur nicca ist (d.h. zum Glück führt), wird man dem Leiden bzw. Dukkha unterworfen sein, und somit ist man anatta (hilflos).
- Wenn man nach weltlichen Dingen strebt, neigt man auch dazu, sich in den Dasa Akusala zu betätigen.
- Wenn man erkennt, dass die Natur anicca und anatta ist, wird man versuchen, sich von den Dasa Akusala fernzuhalten, selbst wenn man weltlichen Dingen nachgeht.
- Wenn man dem weltlichen Pfad folgt (d.h. ein moralisches Leben führt), beginnt man, den Geist zu reinigen und viele falsche Sichtweisen (diṭṭhi) abzulegen.
- Wenn man die wahren Bedeutungen von anicca, dukkha, anatta erfasst, beginnt man auf dem lokottara (edlen) Pfad.
- Als Sōtapanna wird man ernsthaft damit beginnen, die vom Geist verursachten Akusala auszulöschen. Alle Dasa Akusala werden erst auf der Arahant-Stufe entfernt. Das ist der atta– bzw. nātha-Zustand. Man ist nicht mehr anatta (hilflos).
10. Man wird viel Leid (dukha) erfahren, bis man erkennt, dass es fruchtlos ist, augenscheinlich „wertvolle Dinge“ zu verfolgen (und dabei akusala zu handeln).
- Die erste edle Wahrheit dukkha sacca besteht darin, zu erkennen, dass man Leiden nur dadurch vermeidet, dass man Dasa Akusala ablehnt und möglichst moralisch handelt (dasa kusala).
- Wenn man Nibbāna erreicht, ist das der Zustand nicca, sukha, atta, also das Gegenteil von anicca, dukkha, anatta.
B. Diskussion der Anatta Lakkhana Sutta (SN 22.59)
11. Es gibt mehrere Pāli (und Sinhala) Wörter (mama, asmi, mē), die „mein“, „ich“, „zu mir“ bedeuten. Attā wird konventionell auch für „selbst“ benutzt.
- Diese Begriffe stehen in der Anatta Lakkhana Sutta. Hier die relevanten Schlüsselverse:
„Tam kim mannāta, bhikkhave: rupam niccam vā aniccam vā ti?“ – „Bhikkhus: ist irgendein Rūpa (materielle Form) nicca oder anicca?“ bzw. „Bhikkhus: kann irgendein Rūpa zur Zufriedenheit erhalten werden?“
– „Aniccam, Bhante:“ – „Es kann nicht zur eigenen Zufriedenheit erhalten werden, ehrwürdiger Herr.“
„Yam pan aniccam dukham vā sukham vā ti?“ – „Wird ein solches Ding zu Leiden oder Glück führen?“
-„Dukham, Bhante.“ – „Leiden, ehrwürdiger Herr.“
„Yaṃ pan aniccam dukham viparināma dhamman, kallam nu tam samanupassitum: ‘etan mama, ēso hamasmi, ēso mē atta ‘ti?“ – „Sollte ein solches Gebilde, das nicht zur eigenen Zufriedenheit erhalten werden kann, das zu Leiden führt und ein Viparināma Dhamma ist, als ‚mein‘ oder ‚ich‘ oder als ‚mein atta‘ gesehen werden?“
– „N‘ hetum, Bhante.“ – „Kein Grund so zu denken, ehrwürdiger Herr.“
12. Dieser letzte Vers zeigt, welche Worte der Buddha für „ich“, „mein“, „selbst“ verwendete.
- Hier nochmal der Schlüsselvers: „Etam mama, eso’ham asmi, eso mē attāti“, was bedeutet: „Das ist mein, das bin ich, oder mein attā (mein Wesen).“
- Interessanterweise ist das singhalesische Wort für „ich“ oder „selbst“ auch heute noch „mama“, und „asmi“ ist die Wahrnehmung von „ich“ oder „mein“ wie in asmi māma, eine der letzten Samyōjana (wird erst auf der Arahant-Stufe entfernt). Siehe Anattā in der Anattalakkahana Sutta (SN22.59).
13. Die falsche Sichtweise „ich bin mein physischer Körper“ (und „ich bin mein Vedana“ usw.) wird auf der Sōtapanna-Stufe durch die Beseitigung von Sakkāya Diṭṭhi entfernt. Die tiefer eingebettete Wahrnehmung von „Ich“ wird erst auf der Arahant-Stufe entfernt.
- Anatta ist die korrekte Saññā, dass diese Welt der 31 Reiche keine „Essenz“ oder „wahres Glück“ bieten kann. Daher ist jeder auf der Suche nach einer solchen „letztendlichen Wahrheit in dieser Welt“ hilflos.
- Aus diesem Grund muss eine qualifizierte Person, die Buddha Dhamma erklärt, zumindest zu einem gewissen Grad über Patisambhidā Nāna verfügen, um die richtige Bedeutung der Schlüsselwörter herauszufinden.
C. Was ist mit Āthma/Anāthma?
14. Das letzte Stück dieses Puzzles sind die Wörter āthma/anātma. Dies sind Sanskrit-Wörter und KEINE Pāli-Wörter. Aussprache:
- Die Verwirrung kam, als die Leute anfingen, atta/anatta als ātma/anātma in Sanskrit und Singhalesisch zu übersetzen (viele Sanskrit-Wörter wurden als singhalesische Wörter übernommen, was bedauerlich ist, denn das macht die Dinge noch verwirrender).
- In der singhalesischen Sprache werden sie geschrieben als „ආත්ම“ und „අනාත්ම.“
- Im Sanskrit bedeutet ātma im Wesentlichen „Seele“, eine unzerstörbare Entität, die den Tod überlebt und schließlich mit dem Mahā Brahma verschmilzt, dem Äquivalent des „Schöpfergottes“ in den abrahamitischen Religionen. Dieses ātma unterscheidet sich von den beiden Pāli-Wörtern atta und attā.
- Atta/anatta sind tiefgehende Konzepte mit mehreren zugrunde liegenden Konzepten. Eine Bedeutung von anatta ist, dass es keine unveränderliche Seele (ātma) gibt. Anatta schließt anātma ein (das Gegenteil von ātma).