Buddhaghosas Visuddhimagga – eine Analyse

Zwei wesentliche Verzerrungen des Buddha Dhamma

1. Die erste Verzerrung erfolgte vor etwa 1500 Jahren mit der Einführung der „Atemmeditation“ als buddhistische Anāpānasati-Meditation durch Buddhaghosa in seinem Kommentar Visuddhimagga.

  • Die zweite bedeutsame Verzerrung erfolgte in jüngerer Zeit durch europäische Gelehrte aufgrund eines echten Fehlers. Sie waren nicht in der Lage, zwischen dem auf Sanskrit basierenden Mahāyāna-Buddhismus und dem auf Pali basierenden Theravada-Buddha-Dhamma zu unterscheiden. Das führte zur falschen Übersetzung von anicca als „Unbeständigkeit“ und anatta als „Nicht-Selbst“.
  • Wir werden hier den Hintergrund zum Thema „Atemmeditation“ erörtern.
  • Eine Einführung in das zweite Thema findet sich im Text Fehlinterpretation von Anicca und Anatta durch frühe europäische Gelehrte.

Historischer Hintergrund zu Buddhaghosa

2. Im vorigen Text wurde geklärt, warum Buddhaghosa nach Sri Lanka reiste. Hier eine Zusammenfassung:

  • Viele Teile des Tipiṭaka liegen in komprimierter Form vor. Seit der Zeit des Buddha wurden Kommentare geschrieben, um die Schlüsselkonzepte zu erklären.
  • Die meisten dieser Kommentare wurden – zumindest ab der Zeit von  Mahinda – in singhalesischer Sprache von Mahinda selbst und vielen singhalesischen Arahants über 950 Jahre lang bis zur Zeit von Buddhaghosa verfasst. Diese wurden Sinhala Atthakathā genannt (wahre Berichte).
  • Ein gewisser Bhikkhu Revata in Indien rekrutierte Bhuddhaghosa, um nach Sri Lanka zu reisen und diese singhalesischen Atthakathā in Pāli zu übersetzen (siehe Referenzen 2 bis 4 unten).
  • Hier werde ich zeigen, dass Buddhaghosa, anstatt die singhalesischen Atthakathā zu übersetzen, vedische Ideen in seine Pāli-Kommentare einfließen ließ, insbesondere die Beschreibung von Ānāpānasati als Atemmediation.

Untergang der Atthakathā (Original-Kommentare in Singhalesisch)

3. Diese singhalesischen Atthakathā verschwanden von der Bildfläche, nicht lange nachdem Buddhaghosa sein Werk vollendet hatte (die meisten von ihnen wurden wahrscheinlich mit dem Mahavihara verbrannt, lange vor Buddhaghosas Zeit). Unabhängig davon, was mit diesen ursprünglichen Atthakathā geschah, akzeptierte die Theravada-Tradition den Visuddhimagga als Repräsentant dieser ursprünglichen Atthakathā sowie des Tipiṭaka. Bis heute genießt Visuddhimagga hohe Wertschätzung.

  • Als er diese singhalesischen Atthkakathā bearbeitete und den Visuddhimagga verfasste, integrierte Buddhaghosa, ein Gelehrter der vedischen Literatur, hinduistische vedische Konzepte.
  • Insbesondere ersetzte er die echte buddhistische Anāpāna Bhāvanā durch Atemmeditation und führte auch die hinduistische Kasina-Meditation ein.
  • Buddhaghosa vernachlässigte auch die Wichtigkeit der Tilakkhana (anicca, dukkha, anatta), aber er verfälschte nicht ihre Bedeutungen. Das geschah erst, als die Europäer Tipiṭaka und Visuddhimagga ins Englische und Deutsche übersetzten.
  • Buddhaghosa soll auch andere Kommentare zum Tipiṭaka geschrieben haben, die aber nicht weit verbreitet sind.
  • Ich vermute, dass Buddhaghosa die singhalesische Atthakathā nicht einmal für den Visuddhimagga konsultierte. Der Visuddhimagga ist hinsichtlich der Meditationstechniken nicht mit den übrigen ursprünglichen drei Kommentaren und dem Tipiṭaka vereinbar.

Letztes buddhistisches Konzil, an dem Arahants teilnehmen

4. Reines Buddha Dhamma existierte bis zum vierten buddhistischen Konzil (Sangāyanā), was 29 v. Chr. in Matale, Sri Lanka, stattfand.

  • Als Buddhaghosa etwa 450 Jahre später in Sri Lanka eintraf, hatten sich drastische Veränderungen vollzogen (u.a. wurde das buddhistische Zentrum Maha Vihara von Anuradhapura einmal niedergebrannt und eine Mahayaṃistische Sekte beherrschte eine Zeit lang die Gegend).
  • Der Verfall des Theravada-Buddha-Dhamma vollzog sich also schrittweise über zweitausend Jahre. Dennoch fanden in dieser Zeit zwei drastische Veränderungen statt: (i) Buddhaghosas Einführung hinduistischer Meditationstechniken im fünften Jahrhundert, (ii) die Fehlinterpretation von anicca und anatta durch europäische Gelehrte, als sie in den späten 1800er Jahren sowohl Tipiṭaka als auch Visuddhimagga übersetzten.
  • Obwohl es seit dem späten 19. Jahrhundert dank der Bemühungen von Europäern wie Rhys Davids, Eugene Burnouf und Thomas Huxley ein Wiederaufleben des Buddha-Dhamma gab, war es leider dieses „verzerrte Dhamma“, was sich in den letzten 200 Jahren in der ganzen Welt verbreitete.

Drei Original-Kommentare in Pāli

5. Obwohl diese alten singhalesischen Kommentare verloren gingen, blieben drei Kommentare in Pāli erhalten, die zur Zeit des Buddha mit dem Tipiṭaka verfasst wurden: Paṭisambhidāmagga, Petakopadesa, Nettippakarana. Siehe Bewahrung des Dhamma.

  • Nachdem Buddhaghosa den Visuddhimagga verfasst hatte, verwendeten die Theravada-Buddhisten fast ausschließlich diesen Kommentar anstelle des Tipiṭaka, und die ursprünglichen Pāli-Kommentare wurden völlig vernachlässigt.
  • Mit Hilfe dieser drei ursprünglichen Pāli-Kommentare konnte Waharaka Thero in den letzten 25 Jahren die ursprünglichen Lehren des Buddha „wiederentdecken“. Leider erlangte Waharaka Thero vor kurzem Parinibbāna. Siehe Parinibbāna von Waharaka Thero.
  • Nach der „Wiederentdeckung“ der wahren Lehren des Buddha durch Waharaka Thero wurde klar, dass sich in den letzten zweitausend Jahren mehrere wichtige Fehlinterpretationen in Buddha-Dhamma eingeschlichen hatten. Aber die tatsächliche Chronologie der Kontamination war unklar.
  • Es war zum Beispiel nicht klar, ob Buddhaghosa selbst für die Fehlinterpretationen von anicca und anatta verantwortlich war. Doch das waren die europäischen Pioniere, als sie annahmen, dass die Pāli-Wörter anicca und anatta von anitya und anathma im Sanskrit abgeleitet seien.

Buddhaghosa nicht verantwortlich für Fehlinterpretation von Anicca und Anatta

6. Buddhaghosa sollte den Inhalt der singhalesischen Atthakathā nehmen und seinen eigenen Kommentar in Pāli verfassen. Man kann auch diese Pāli-Version erwerben (s. Referenz 1 unten). Für den Vergleich verwende ich zusätzlich den englischen Text unter Referenz 2.

7. Auf S. 271 des Pāli Visuddhimagga (Ref. 1) heißt es zum Beispiel: “Catutthacatukke pana aniccānupassi ettha tava aniccata veditabbam. Aniccata veditabba. Aniccānupassanā veditabba. Aniccānupassi veditabbo“.

  • Dies wird im Buch von Bhikkhu Nyanamoli (S. 282, Bd. I) übersetzt als: „Aber in der vierten Tetrade, was die Kontemplation der Unbeständigkeit betrifft, hier: erstens sollte das Unbeständige verstanden werden, und die Unbeständigkeit, und die Kontemplation der Unbeständigkeit, und man kontempliert die Unbeständigkeit.“
  • In diesem Fall benutzte Buddhaghosa also das richtige Pāli-Wort anicca. Bhikkhu Nyanamoli übersetzte es jedoch fälschlicherweise mit „Unbeständigkeit“, wie die europäischen Pioniere vor ihm.

8. Buddhaghosas ursprüngliche Pāli-Version zeigt auch die Beziehungen zwischen den drei Merkmalen, siehe auch Anicca, Dukkha, Anatta – falsche Deutungen. Auf S. 617 von Ref. 1 sagt:

Yadaniccam tam dukkha’nti (SN 3.15) vacanato pana tadeva khandhapancakam dukkham. Kasma? Abhinhapatipilana, abhiññāpatipilanakaro dukkhalakkhanam.

Yam dukkham tadanatta’ti (SN 3.15) pana vacanato tadeva khandhapancakam anatta. Kasma? Avasavattanato, avasavattanakaro anattalakkhanam“.

  • Das bedeutet: Dukkha entsteht (aufgrund von Anhaftung an Dingen mit) anicca-Natur, daher sind (solche Anhaftungen von) anattaNatur“.

Falsche Übersetzung von Bhikkhu Nynamoli

9. Allerdings übersetzt Bhikkhu Nynamoli, der falschen Interpretation folgend, diese beiden Verse wie folgt (S.663 von Ref. 2):

„Dieselben fünf Aggregate sind schmerzhaft aufgrund der Worte: ‚Was unbeständig ist, ist schmerzhaft‚ (S. iii,22). Warum? Wegen der ständigen Bedrücktheit. Die  ständige Bedrückheit, ist das Merkmal des Schmerzes.“,

„Dieselben fünf Aggregate sind Nicht-Selbst aufgrund der Worte: ‚Was schmerzhaft ist, ist Nicht-Selbst (S. iii,22). Und warum? Weil man keine Macht darüber hat. Die Unempfänglichkeit für die Ausübung von Macht ist das Merkmal von Nicht-Selbst.“

10. Es ist also offensichtlich, dass es nicht Buddhaghosa war, der anicca als „unbeständig“ und anatta als „Nicht-Selbst“ interpretierte, sondern Europäer in den späten 1800er Jahren. Nachfolgende Gelehrte aus Sri Lanka und anderen asiatischen Ländern verbreiteten diese beiden falschen Interpretationen.

  • Zum Beispiel lernten frühe singhalesische Gelehrte wie Malalasekara, Jayathilaka und Kalupahana den Buddhismus (und erhielten Doktortitel in Buddhismus!) von diesen europäischen Pionieren an Universitäten im Vereinigten Königreich.
  • Man muss darüber nachdenken, wie sich die Autorität dieser frühen Europäer in Bezug auf Buddha Dhamma auswirkte. Sie übersetzten den Tipiṭaka lediglich Wort für Wort (unter Verwendung von wahrgenommenen Etymologien zum Sanskrit).
  • Die Übersetzung des Tipiṭaka ist nicht dasselbe wie die Übersetzung irgendeines anderen Buches von einer Sprache in eine andere. Dazu muss man guten Verständnis von Buddha Dhamma haben.
  • Der Hauptfehler von Rhys Davids, Bernouf und anderen war die Annahme, dass anicca und anatta dasselbe sind wie die Sanskrit-Wörter anitya (Unbeständigkeit) und anathma (Nicht-Selbst).

Buddhaghosa führte die Atemmeditation als Anāpānasati ein

11. Nun wenden wir uns dem Thema zu, dass Buddhaghosa hinduistische vedische Meditationstechniken in seinen Visuddhimagga übernahm.

Hier ist eine Schlüsselstelle aus Buddhaghosas ursprünglichem Pāli Visuddhimagga (S. 254 von Ref. 1): “Tattha dighamva va assasantoti digham va assasam pavattayaṃto. Assasoti bahi nikkhamanavato. Passasoti anto pavisanavatoti vinayatthakathayam vuttam. Suttantatthakathasu pana uppatipatiya agatam. Tattha sabbesampi gabbhaseyyakanam matukucchito nikkhamanakale pathamam abbhantaravato bahi nikkhamati. Paccha bahiravato sukhumarajam gehetva abbhaantaram pavisanto talum ahacca nibbayati. Evam tava assapassasa veditabba“.

Bhikkhu Nyanamoli übersetzt diese Passage RICHTIG ins Englische wie folgt (S. 265 von Ref. 2): „Hierin ist langes Einatmen (assasanto) das Erzeugen eines langen Einatmens. assāsa ist der Wind, der ausströmt; passāsa ist der Wind, der einströmt‚, heißt es im Vinaya-Kommentar. Aber in den Suttanta-Kommentaren wird es im umgekehrten Sinn wiedergegeben. Darin heißt es, wenn ein Säugling aus dem Mutterleib kommt, geht zuerst der Wind von innen heraus, und danach kommt der Wind von außen herein, der mit feinem Staub auf den Gaumen trifft und [mit dem Niesen des Säuglings] ausgelöscht wird. So sollte zuerst assāsa und passāsa verstanden werden“.

  • Dies ist also ein konkreter Beweis dafür, dass Buddhaghosa selbst Ānāpānasati als Atemmeditation ansah. Er sprach explizit über Einatmen und Ausatmen von Luft.
  • Ānāpāna Bhāvanā ist jedoch keine Atemmeditation. Siehe 7. Was ist Ānāpāna?.

Buddhistische Meditation verwendet keine Kasina-Objekte

12. Das zweite Problem, was Buddhaghosa in seinem Visuddhimagga aufwirft, besteht in der Verwendung von weltlichen Kasina-Objekten als gangbaren Weg zu Nibbāna. Er gibt detaillierte Erklärungen zur Herstellung von Kasina-Objekten in den Kapiteln 4 und 5 in Ref. 1.

  • Zum Beispiel beschreibt er bis ins kleinste Detail, wie man ein „Erd-Kasina“ herstellt, beginnend auf Seite 118 von Ref. 1: “..Nilapitalohitaodatsambhedavasena hi cattaro pathavikasinadosa. Tasma niladivaṇṇam mattikam aggahetva gangavahe mattikasadisaya arunavananaya mattikaya kasinam katabbam..”.
  • Bhikkhu Nyanamoli übersetzt (S. 123 von Ref. 2): „…Nun sind die vier Früchte der Erde-Kasina aufgrund des Eindringens von Blau, Gelb, Rot,  Weiß. Anstatt also Lehm in solchen Farben zu verwenden, sollte man das Kasina aus Lehm machen, wie der im Fluss Ganga, der die Farbe der Morgendämmerung hat…“.
  • In gleicher Weise beschreibt Buddhaghosa detailliert, wie man andere Arten von Kasina-Objekten herstellt.

13. Der entscheidende Punkt ist, dass wahre buddhistische Kasina-Meditation keine physischen Kasina-Objekte beinhaltet. Wenn jemand einen Hinweis im Tipiṭaka finden kann, in dem beschrieben wird, wie man ein physisches Kasina-Objekt herstellt, wäre ich dankbar dafür.

  • Der Buddha beschrieb Rahula die wahre Kasina-Meditation in der Maha Rahulovada Sutta (Majjhima Nikāya, MN 62). Sie wurde ihm als Teil der Ānāpānasati Bhāvanā erklärt, die auf viele Arten durchgeführt werden kann. Hier erfolgt die Kontemplation über innere Körperteile, die aus satara mahā bhuta bestehen, und die Erkenntnis, dass äußere Rupa ebenfalls aus satara mahā bhuta bestehen. Darüber hinaus bedeutet es, dass nichts im eigenen Körper als „ich, ich selbst, etc.“ gesehen werden sollte.

..Ekāmantaṃ nisinno kho āyasmā rāhulo bhagavantaṃ etadavoca: “kathaṃ bhāvitā nu kho, bhante, ānāpānassati, kathaṃ bahulīkatā mahāpphalā hoti mahānisaṃsā”ti? “Yaṃ kiñci, rāhula, ajjhattaṃ paccattaṃ kakkhaḷaṃ kharigataṃ upādinnaṃ, seyyathidaṃ—kesā lomā nakhā dantā taco maṃsaṃ nhāru aṭṭhi aṭṭhimiñjaṃ vakkaṃ hadayaṃ yakanaṃ kilomakaṃ pihakaṃ papphāsaṃ antaṃ antaguṇaṃ udariyaṃ karīsaṃ, yaṃ vā panaññampi kiñci ajjhattaṃ paccattaṃ kakkhaḷaṃ kharigataṃ upādinnaṃ— ayaṃ vuccati, rāhula, ajjhattikā pathavīdhātu. Ya ceva kho pana ajjhattikā pathavīdhātu yā ca bāhirā pathavīdhātu, patha­vī­dhātu­revesāTaṃ ‘netaṃ mama, nesohamasmi, na meso attā’ti—evametaṃ yathābhūtaṃ sammappaññāya daṭṭhabbaṃ. Evametaṃ yathābhūtaṃ sammappaññāya disvā pathavīdhātuyā nibbindati, pathavīdhātuyā cittaṃ virājeti.”.

  • Die anderen drei Rupa (apo, tejo, vayo) werden dort in gleicher Weise besprochen. Für die wahre buddhistische Kasina-Meditation braucht man keine Kasina-Objekte herzustellen.

Referenzen

1. Visuddhimagga (The Path of Purification – Pāli Edition), von Bhadantacariya Buddhaghosa (Theravada Tipiṭaka Press, 2010).

2. The Path of Purification (Visuddhimagga), von Bhadantacariya Buddhaghosa und übersetzt von Bhikkhu Nyanamoli (BPS Edition, 1999). Die Einleitung (von Bhikkhu Nyanamoli) liefert den historischen Hintergrund.

3. The Life and Work of Buddhaghosa, von Bimula Charan Law (Low Price Publications, Delhi, 1923), Ausgabe 2005.

4. The Pāli Literature of Ceylon, von G. P. Malalasekara (Bharatiya Kala Prakashan, Delhi, 1928), Ausgabe 2010.

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