Existiert ein Objekt (Rupa) nur für 17 Gedankenmomente?

1. Wenn es um Abhidhamma geht, taucht immer wieder diese Aussage auf: „Alles auf dieser Welt dauert nur einen kurzen Moment. Jedes Objekt wird innerhalb kurzer Zeit im Ablauf einiger Gedankenmomente geformt und zerstört. Dann wird es neu geformt und zerstört. Dieser Prozess geht unaufhörlich weiter.“

  • Dieser Entstehungs-/Zerstörungs-Prozess, der in 17 Gedankenmomenten stattfinden soll, wird dabei an das Konzept der „Unbeständigkeit“ gebunden.

2. Grundsätzlich entsteht ein Sankata aufgrund von Ursachen und wird zerstört, wenn diese Ursachen aufgebraucht sind. Es ist etwas komplexer und wird im Abschnitt Udayavaya Nana behandelt.

  • Das Entstehen eines Sankata kann mit Paticca Samuppada beschrieben werden. Das ist udaya bzw. das Entstehen. Einmal entstanden, haben verschiedene Sankata unterschiedliche Lebensdauern, bis sie schließlich vergehen. Das ist vaya (zerstören). Udayavaya beschreibt die Entstehung und Zerstörung eines Sankata. Aber ein Sankata kann lange andauern.

3. Es scheint mir, dass diese Fehlinterpretation von „17 Gedankenmomenten“ darauf zurückzuführen ist, dass die Lebensdauer eines Rupa 17 Gedankenmomente sei. Aber das ist nur die Lebenszeit eines Hadaya Rupa bzw. das Vibrieren der Hadaya Vatthu, wenn ein Pasada Rupa ein Signal von der Außenwelt hereinbringt.

4. Verschiedene Sankata haben unterschiedliche Lebensdauern. Eine Fliege kann ein paar Tage leben, ein Mensch ungefähr 100 Jahre, ein Gebäude kann Hunderte Jahre bestehen, die Erde wird noch grob 5 Milliarden Jahre existieren, usw.

  • Ein lebloses Objekt wie ein Gebäude beginnt vom Moment des Bauens an langsam zu verfallen. Wenn ein Gebäude 500 Jahre lang besteht, wird es jeden Tag ein wenig „verfallen“. Gegegen Ende der 500 Jahre wird sich der Verfall beschleunigen.
  • Vom aktuellen Moment bis zur endgültigen Zerstörung (oder bis zum Tod im Falle eines Lebewesens) ändern sich alle Sankata. Ein heute geborenes Baby wird zuerst zu einem jungen Menschen heranwachsen. Dann wird es allmählich schwächer, während es ein alter Mensch wird und irgendwann eines Tages wird das Lebewesen sterben. Veränderung ist unausweichlich. Während das Baby wächst, vermehren sich die Zellen im Körper. Aber im Körper eines alten Menschen sterben mehr Zellen ab. Der Verfall dominiert dann.

5. Diese ständige Veränderung ist für uns nicht in Echtzeit erkennbar. Eine Person altert nicht, während wir sie beobachten. Aber wir können die Veränderung über mehrere Jahre hinweg erkennen.

  • Eintagsfliegen haben eine Lebensdauer in der Größenordnung eines Tages (nach dem Larvenstadium). Einige leben nur Stunden.
  • Es ist also ein riesiger Unterschied, ob sich ein Objekt von Moment zu Moment ändert, anstatt alle 17 Gedankenmomente „neu zu entstehen“. Das Letztere ist ein vollständiges Missverständnis vom Udayavaya eines Sankata.

6. Woher kommt also diese falsche Vorstellung, dass jedes Rupa sehr kurzlebig ist?

  • Die Verwirrung entsteht, wenn man das Konzept zum Hadaya Rupa nicht versteht. Ein Hadaya Rupa wird in der Hadaya Vatthu durch ein Sinnesereignis über die fünf physischen Sinne erzeugt. Die Lebenszeit eines Hadaya Rupa ist die Zeit, die benötigt wird, um ein äußeres Sinnesereignis aufzuzeichnen, d.h. 17 Gedankenmomente (in denen ein Citta Vithi einen Abdruck von einem externen Rupa im Geist aufzeichnet). Es ist falsch, diese Zeit als Lebenszeit ALLER Rupa anzunehmen. Siehe Gandhabba (Manomaya Kaya) – Einführung.
  • Die Frage ist, wie wir ein externes Objekt (Rupa) ERLEBEN. Wir erfahren die externen physischen Dinge dieser Welt durch die fünf physischen Sinne. Wir sehen mit den Augen, hören mit den Ohren, riechen mit der Nase, schmecken mit der Zunge und erfahren Berührung mit dem Körper.
  • Unser Geist fängt jedoch nur einen sehr kurzen Moment (einen Gedanken-Moment) des Sehens, Hörens usw. auf einmal ein. Das externe Objekt (z.B. ein Baum) existiert für eine lange Zeit, aber wir zeichnen davon nur einen winzigen Bruchteil im Geist auf.

7. Jedes dieser fünf Sinnesereignisse wird durch je einen Gedanken wahrgenommen, auch wenn wir es nicht so wahrnehmen. Siehe Citta und Cetasika – Wie Vinnana (Bewusstsein) entsteht. Hier eine einfache Beschreibung:

  • Wenn wir ein Objekt sehen, senden unsere Augen das Bild des Objekts über die Neuronen, welche die Augen mit dem Bildverarbeitungsteil im Gehirn verbinden, an das Gehirn. Das Gehirn verarbeitet diese Information. Jedes Bild liegt zeitlich im Bereich von 10 Millisekunden (Buddha Dhamma gibt diese Zeit nicht an. Ich verwende die von Wissenschaftlern gemessene Zeitspanne).
  • Aber das Gehirn fühlt nichts. Es ist der Geist, der Empfindungen wahrnimmt.
  • Das Gehirn verarbeitet diese Information und überträgt sie an den Sitz des Geistes (hadaya vatthu), der das Herz überlappt. Jetzt braucht der Geist 17 Gedankenmomente (17 Citta), um diese Informationen zu verarbeiten, das Objekt zu identifizieren und eine Entscheidung darüber zu treffen. Diese Reihefolge von Citta wird als Citta Vithi bezeichnet. Jeder „Schnappschuss“ wird also von einem Citta Vithi verarbeitet, der 17 Citta enthält. Für die anderen physischen Sinne erfolgt der Ablauf identisch.

8. Während eines Citta Vithi passieren diverse Dinge: Der Geist erkennt das Objekt, bildet eine „Meinung“ (mag ich/mag ich nicht/ist mir egal) darüber und entscheidet über das weitere Vorgehen. Deshalb sind es 17 Citta in einer Serie. Gegen Ende des Citta Vithi gibt es sieben Javana Citta, welche die nachfolgenden Handlungen wie Sprechen oder körperliche Bewegung anstoßen, alles basierend auf den Entscheidungen, die zuvor im Citta Vithi getroffen wurden.

  • Tatsächlich folgen auf jeden Pancadvara Citta Vithi drei weitere Manodvara Citta Vithi, welche dieses Entscheidungen treffen. Das alles läuft natürlich so schnell ab, dass diese Details für uns nicht einzeln wahrnehmbar sind. Nur ein Buddha kann solche schnellen Prozesse „sehen“.
  • Wenn wir uns mit jemandem unterhalten, hören und sehen wir scheinbar „zur gleichen Zeit“. Es scheint aber nur so. Die Bilder und Geräusche werden vom Gehirn in Paketen (von jeweils etwa 10 ms) empfangen und verarbeitet, wie oben erläutert. Aber der Geist verarbeitet jedes Paket in weniger als einer Millionstel Sekunde in einem Citta Vithi!
  • Wenn wir beim Fernsehen Popcorn essen, kommt der Geschmack vom Popcorn ebenfalls in Datenpaketen: Die Zunge sendet etwa 10 ms „Geschmacksinformation“ zum Gehirn. Das Gehirn verarbeitet diese Information und überträgt sie an den Geist. Das gleiche passiert mit den Geräuschen vom Fernsehlautsprecher und dem Körperkontakt vom Herumfingern mit dem Popcorn. Da solche „Informationspakete“ beständig wiederholt hereinkommen, erleben wir das als Kontinuität der Wahrnehmung. Es wird aber jeweils nur ein Paket verarbeitet, sodass zwischen benachbarten Paketen eine Verzögerung von mindestens 10 ms besteht.

9. Damit können wir alle fünf Sinne „gleichzeitig“ nutzen und all Informationen werden in 10-ms-Paketen verarbeitet. Pro Sekunde (= 1000 ms) kann der Geist maximal 100 solcher „Informationspakete“ empfangen und verarbeiten.

  • Für uns ist dies jedoch schnell genug, um all diese Sinneseindrücke als kontinuierlich wahrzunehmen. Der einzige Teil, der hierfür aus der Wissenschaft geliehen wurde, sind die 10 ms für jedes Informationspaket. Diese Studien wurden erst kürzlich veröffentlicht, und die Wissenschaft ist sich der Rolle des Geistes natürlich nicht bewusst. Für die Wissenschaft macht das Gehirn alles, und das Gehirn ist identisch mit dem Geist. Ich glaube jedoch, dass Wissenschaftler diese Vorstellung in naher Zukunft ändern werden.

10. In jedem Fall ist das, was im Geist passiert, analog zu dem, was passiert, wenn wir einen Film anschauen. Wir nehmen an, einen fortlaufenden Film sehen. In Wirklichkeit werden statische Bilder mit einer Geschwindigkeit von etwa 30 bis 60 Bildern pro Sekunde abgespielt. Auch hier hat jedes statische Bild eine Dauer von 20 bis 30 ms. Es ist jedoch schnell genug, um den Eindruck einer fortlaufenden Darstellung zu erzeugen.

11. Es wird nun offensichtlich, dass der Geist die meiste Zeit nichts tut und nur auf Eingangssignale vom Gehirn wartet. In einer Sekunde kommen nur etwa 100 solcher „Datenpakete“ zum Geist. Dann braucht der Geist nur 100 Citta Vithi für die Verarbeitung dieser Informationen, was weniger als eine Millionstel Sekunde dauert!

  • Der Rest der Zeit ist der Geist im sogenannten Bhavanga-Zustand. Und dort ist er die meiste Zeit. Er beschäftigt sich nur sehr kurze Zeit damit, die Welt zu „erfahren“. Jedes Wahrnehmungsereignis dauert nur 17 Gedankenmomente, eine unvorstellbar kurze Zeit.

12. Wie aber hält der Geist die Kontinuität des Bewusstseins aufrecht und wie weiß er, was in der Vergangenheit geschah? Das wird von mehreren geistigen Faktoren (Cetasika) in jedem Citta bewerkstelligt. Insbesondere das Manasikara Cetasika bringt Erinnerungen ein, das Sanna Cetasika erkennt, etc.

13. Nun sollte klar sein, woher das Missverständnis kommt: „Rupa existieren nur 17 Gedankenmomente“.

  • Es ist nicht so, dass jedes Rupa (oder Objekt) von kurzer Dauer ist. Es ist nur so, dass die Dauer des Erlebens von Rupa sehr kurz ist. Die Ghana Sanna bzw. die „Wahrnehmung einer soliden und kontinuierlichen Erfahrung“ ist eine Illusion, die vom Geist erzeugt wird. Das ist ein wichtiger Punkt.

14. Daher ändern sich externe Objekte wie Pflanzen, Steine und Lebewesen nicht unbedingt schnell und definitiv nicht so schnell. Nur unser Erleben dieser Objekte dauert jeweils weniger als eine Millionstel Sekunde. Wenn wir ein Objekt für eine Minute betrachten, sieht der Geist ungefähr 600 statische Bilder (gemäß Nr. 9 oben). In diesen 60 Sekunden „sieht“ der Geist das Objekt insgesamt für weniger als eine Millionstel Sekunde, verteilt jedoch in „Schnappschüssen“ über diese 60 Sekunden.

  • Beispielsweise ändert sich ein Goldbarren in 17 Gedankenmomenten praktisch nicht. Ein Goldbarren hat eine Lebensdauer von Millionen Jahren. Daher ist die Veränderung des Goldbarrens in einem Gedankenmoment unbedeutend.
  • Selbst bei einer Eintagsfliege, die nur einen Tag lebt, ist die Veränderung innerhalb von 17 Citta unermesslich gering.

15. Buddha Dhamma ist komplex genug. Wir müssen aufpassen, dass es nicht komplexer als nötig wird. Es ist unrealistisch, dass eine Person in einem Gedankenmoment verschwindet und sich unmittelbar neu formiert. Das Gleiche würde für die Erde und alle Sterne und Galaxien auch gelten. Es sprengt etwas die geistige Vorstellungskraft und wäre auch absurd.

  • Das ist nicht das, was der Buddha meinte, als er sagte: „ditté ditta mantan bhavissati.„, übersetzt: „was gesehen wird, ist nur eine Spur“. Mantan ist “mätra” in Sinhala oder Sanskrit und bedeutet „eine Spur von etwas“.

16. Andere Sinneseindrücke funktionieren in gleicher Weise. Der Buddha sagte auch: suté suta mattan bhavissati”, “muté muta mattan bhavissati”, “viññāté viññāta mattan bhavissati, wobei suta = hören, muta = kollektives Wort für Geschmack, Geruch, Berührung, und viññāta = viññāna. Alle Sinneseindrücke und das Bewusstsein sind wirklich nur Spuren fließender Wahrnehmungen, die der Geist als kontinuierliche und solide Erfahrung präsentiert.

17. Unser Leben besteht nur aus einer Reihe sehr kurzer Sinneserfahrungen. Als der Buddha die obigen vier Sätze dem Asket Bahiya Daruciriya  sagte, dachte dieser gleich darüber nach und erlangte die Arahantschaft. Bahiya Daruciriya gilt als der Mensch, der die wenigste Zeit für das Erreichen der Arahantschaft brauchte.

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