Anatta ist eine Eigenschaft dieser Welt. Die Übersetzung von anatta als „Nicht-Selbst“ ist ein schwerer Fehler.
Ein „ich“-Gefühl ist da, auch wenn es keine „Seele“ gibt
1. Es ist schwierig zu entscheiden, ob mit dem Wort „Selbst“ nur ein Gefühl von „ich“ oder eine tiefere „Seele“ gemeint ist.
- Es ist besser, den Begriff „Selbst“ zu vermeiden, wenn man über „anatta/anattā“ spricht.
- Der Buddha verneinte eine „Seele“ im Sinne der abrahamitischen Religionen oder eines „Ātman“ wie im Hinduismus. Das Gefühl von „ich“ ist aber da und bleibt bestehen, bis man Arahant wird.
- Um Verwirrung zu vermeiden, wollen wir das Wort „Selbst“ nicht verwenden. Wir benutzen „ich“ für das „vorübergehende Selbst“ und „Seele“ für ein „ewiges Selbst„. Der Buddha akzeptierte die Verwendung von „ich“, verneinte aber die Existenz einer dauerhaften „Seele“ bzw. ātman.
- Der Begriff „ich“ meint also etwas anderes als „Seele“.
Sogar der Buddha benutzte das Wort „ich“
2. Solange man in dieser Welt lebt, wird es unmöglich sein, die Worte „ich“ und „mein“ nicht zu benutzen.
- Sogar der Buddha benutzte diese Worte und bezog sich sogar auf frühere Geburten. Er sprach über „seine“ früheren Leben. Ein solcher Gebrauch lässt sich einfach nicht vermeiden.
- Außerdem hätte selbst ein lebender Arahant seine Gewohnheiten. Natürlich wären das keine Gewohnheiten, die auch nur im Entferntesten mit Lobha, Dosa, Moha zu tun hätten.
- Der Ehrwürdige Moggalana war zum Beispiel recht streng. Einmal zerrte er einen Bhikkhu aus einer Versammlung heraus. Der Ehrwürdige Pilindavaccha sprach andere mit Worten wie „vasala“ an („einer von niederer Geburt“), was nicht aus Zorn geschah, sondern wegen der Art, wie er zu sprechen gewohnt war. Solange man in dieser Welt lebt, gibt es einzigartige Merkmale in Bezug auf die körperliche Erscheinung und die Art, wie man spricht und denkt.
- Deshalb lehnte der Buddha beide extreme Sichtweisen ab:
(i) Es ist nicht richtig zu sagen, dass jemand nicht existiert, da eine Person offensichtlich auf ihre eigene Weise lebt und Dinge tut.
(ii) Es ist auch nicht richtig, eine „permanente Seele“ mit einer Person in Verbindung zu bringen. Ein Lebewesen existiert aufgrund von Ursachen und Wirkungen (Paṭicca Samuppāda) und wird aufhören, in dieser leidvollen Welt wiedergeboren zu werden, wenn Avijjā beseitigt ist. - Beim anatta-Konzept geht es jedoch nicht um ein vorübergehendes oder dauerhaftes „Selbst“. Es ist eine Eigenschaft von allem in dieser Welt (rūpa, vedanā, saññā, saṅkhārā, viññāṇa).
Anicca, Dukkha, Anatta – drei Eigenschaften
3. Viele Tipiṭaka-Referenzen zeigen klar, dass anicca, dukkha, anatta EIGENSCHAFTEN dieser Welt sind.
- Darüber hinaus stehen diese drei Eigenschaften in Beziehung zueinander: „Yad aniccaṁ taṁ dukkhaṁ; yaṁ dukkhaṁ tad anattā.„
- Der obige Vers besagt, dass alles, was zu dieser Welt gehört (rūpa, vedanā, saññā, saṅkhārā, viññāṇa), von anicca-Natur ist und somit dukkha einbringt; was immer von dukkha-Natur ist, hat auch anatta-Natur.
- Wenn man an Dingen/Lebewesen/Konzepten mit anicca-Natur haftet, wird man dukkha unterworfen. Aus diesem Grund sind ALLE weltlichen Dinge unfruchtbar/wertlos (anattā).
- Es sollte klar sein, dass es bei anatta/anattā NICHT um ein „Selbst“ oder „ich“ geht.
4. Das wird in diesem Vers prägnant zum Ausdruck gebracht: „Rūpaṁ (vedanā, saññā, saṅkhārā, viññāṇa) atītānāgatapaccuppannaṁaniccaṁ khayaṭṭhena dukkhaṁ bhayaṭṭhena anattā asārakaṭṭhenāti„.
Übersetzt: „Jedes Rupa (und vedanā, saññā, saṅkhārā, viññāṇa), was jemals existierte, in der Zukunft existieren wird, oder das jetzt erlebt wird, hat die folgenden drei Eigenschaften: Rupa ist von anicca-Natur, weil die Hoffnung, Rupa zu genießen, nur zum eigenen Untergang führen wird (aniccaṁ khayaṭṭhena). Es wird letztlich Leiden einbringen, vor dem man sich fürchten sollte (dukkhaṁ bhayaṭṭhena). Daher sind solche Begierden unfruchtbar und machen einen im Wiedergeburtsprozess hilflos (anattā asārakaṭṭhenāti).
5. Aus dem obigen Vers geht hervor, dass anatta nicht nur eine Eigenschaft des physischen Körpers ist, sondern von JEDEM Rupa, was jetzt existiert, jemals existierte oder in Zukunft existieren wird! Das bedeutet, dass anatta eine Eigenschaft des Rupa-Aggregats ist (rupakkhandha).
- Das Merkmal anatta gilt für alle fünf Aggregate, was „die ganze Welt“ eines Lebewesens bedeutet.
- Somit hat alles in dieser Welt die anatta-Eigenschaft!
Beispiele
6. Kinder bauen voller Freude Sandburgen. Sie verbringen Stunden damit und genießen das fertige „Bauwerk“.
- Ihre Freude wandelt sich jedoch in Traurigkeit, wenn eine starke Welle oder ein vorbeilaufender Hund die Sandburg zerstört. Vielleicht gehen sie noch glücklich nach Hause, sind aber traurig, wenn sie am nächsten Tag die zerstörte Sandburg sehen.
- Daher bauen Erwachsene eher keine Sandburgen. Wenn ein Kind heranwächst, begreift es allmählich, dass Sandburgen Zeitverschwendung sind, auch wenn es eine „vergnügliche Tätigkeit“ ist.
- Dennoch tun erwachsene intelligente Menschen ihr ganzes Leben lang genau das. Sie arbeiten unermüdlich in der Hoffnung auf ein besseres Leben. Aber im Augenblick des Todes wird ihnen klar, dass all diese Bemühungen umsonst waren. Wenn sie darüber hinaus durch Gedanken und Aktivitäten eine „unmoralische Geisteshaltung“ kultiviert haben, werden sie nicht nur enttäuscht, sondern können in künftigen Leben viel mehr Leid erfahren.
- Eine Sandburg ist anicca. Sich daran zu klammern, wird unweigerlich zu Enttäuschung führen (dukkha). Daher ist diese Aktivität unfruchtbar und nutzlos (anatta).
7. Die anatta-Natur bedeutet unfruchtbar und gefährlich.
- Ein Alkoholiker konsumiert Alkohol, weil es Vergnügen bereitet. Aber er/sie hat nicht begriffen, dass starker Alkoholkonsum zu Krankheiten und sogar zum Tod führen kann.
- Daher ist starker Alkoholkonsum anicca. Es wird Dukkha einbringen und ist daher nutzlos (anatta).
Das gleiche Prinzip gilt für alle Sinnesvergnügen
8. Es ist zunächst schwer zu glauben, aber das Verlangen nach Sinnesfreuden ist dem Verlangen nach Alkoholkonsum recht ähnlich!
- Die Wahrheit in dieser Aussage kann nur mit Wissen um die leidvolle Natur von Samsara gesehen werden. Für viele Menschen ist es schwierig, die tieferen Aspekte des Buddha-Dhamma zu verstehen. Insbesondere unmoralische Taten, die auf kurzfristige Vergnügen abzielen, WERDEN viel Leid in zukünftigen Wiedergeburten hervorbringen.
- Alle fünf Aggregate (rupa, vedanā, saññā, saṅkhāra, vinnana) haben die anicca-Natur. Daher sind auch alle fünf Aggregate von anatta-Natur!
- Das wird ausdrücklich in der Yadanattā Sutta (SN 22.17) gesagt: „Rūpaṁ, bhikkhave, anattā ..vedanā anattā ..saññā anattā …saṅkhārā anattā …viññāṇaṁ anattā.“
- Deshalb kann man KEIN Ding in dieser Welt (rūpa, vedanā, saññā, saṅkhārā, viññāṇa) als nützlich ansehen.
9. Wir sammeln Kammā (besser: kammische Energien) nicht nur durch unsere Taten an, sondern auch durch Sprechen und sogar Denken (via kāya, vaci, mano saṅkhāra).
- Diese Anhäufung von Kammā beruht darauf, dass man sich an vergangene Erlebnisse erinnert oder über zukünftige Ereignisse nachdenkt.
- All diese beinhalten nicht nur Rupa, sondern auch damit verbundene Vedanā, Saññā, Saṅkhārā, Viññāṇa. Zum Beispiel kann man sich an eine gute Zeit mit Freunden in der Vergangenheit erinnern. Man erinnert sich, wer anwesend war und welche Aktivitäten stattfanden, sowie damit verbundene geistige Aspekte.
- Deshalb bezog sich der Buddha auf Aggregate. Rupakkhandha umfasst physische Rupa und geistige Eindrücke von vergangenen und zukünftigen Rupa. Ähnliches gilt für vedanākkhandha, saññākkhandha, saṅkhārakkhandha, viññāṇakkhandha.
- Daher bedeutet „Rūpaṁ, bhikkhave, anattā„, dass alle Rupa, die in der Vergangenheit erlebt wurden, die jetzt erlebt werden oder die in der Zukunft erwartet werden, von anatta-Natur sind.
Zusammenfassung
10. Das anatta-Konzept hat nichts mit Persönlichkeit, einem Selbst oder einem „Ich“ zu tun.
- Anicca, dukkha, anatta sind Eigenschaften von allem in dieser Welt.