Um die unterschiedlichen Verwendungen dieser Begriffe in den Suttas richtig zu verstehen, braucht man ein gutes Grundverständnis der Lehre des Buddhas. Im Abhidhamma dagegen sind die Begriffe exakt definiert. Wir beginnen mit einer Analyse der geistbezogenen Begriffe.
10.11.2025
Citta, Mano, Viññāṇa – Entitäten, die mit dem Geist zusammenhängen
1. Die Wörter citta, mano und viññāṇa bezeichnen Entitäten, die mit dem Geist zu tun haben. Die Assutavā Sutta (SN 12.61) sagt:
„Yañca kho etaṃ, bhikkhave, vuccati cittaṃ itipi, mano itipi, viññāṇaṃ itipi, tatrāssutavā puthujjano nālaṃ nibbindituṃ nālaṃ virajjituṃ nālaṃ vimuccituṃ.“
Übersetzung:
„Wenn es um die geistbezogenen Entitäten ›citta‹, ›mano‹ und ›viññāṇa‹ geht, ist ein ungebildeter gewöhnlicher Mensch unfähig, Ernüchterung, Leidenschaftslosigkeit oder Befreiung zu erlangen.“
➜ Assutavā Sutta (SN 12.61) auf SuttaCentral (deutsch)
➜ English (Sujato)
- Die englische Übersetzung im Link versucht, die drei Wörter mit „mind“, „sentience“ und „consciousness“ wiederzugeben. Das ist falsch. Genau wie anicca haben citta, mano und viññāṇa keine exakten englischen Entsprechungen.
- Citta wird „chiththa“ ausgesprochen. Im 19. Jahrhundert hat die Pāli Text Society eine Schreibweise eingeführt, die die Wörter kürzer macht.
- Wir schauen uns jetzt ein paar Suttas an, um die genaue Bedeutung zu klären. Wie wir sehen werden, wird nur das Wort citta in den Suttas anders verwendet als im Abhidhamma.
Citta – lockere Bedeutung von „Geist“
2. Die allererste kurze Sutta im Accharāsaṅghātavagga (AN 1.51-60):
„Pabhassaramidaṃ, bhikkhave, cittaṃ. Tañca kho āgantukehi upakkilesehi upakkiliṭṭhaṃ. Taṃ assutavā puthujjano yathābhūtaṃ nappajānāti. Tasmā ‚assutavato puthujjanassa cittabhāvanā natthī‘ti vadāmī.“
Übersetzung:
„Bhikkhus, ein Geist ist von Natur aus pabhassara, d.h. ohne Verunreinigungen. Dieser ›unbefleckte Geist‹ wird durch hereinkommende Verunreinigungen (kilesa) befleckt. Ein normaler Mensch, der mein Dhamma nicht gehört hat (assutavā puthujjano), kennt die wahre Natur nicht. Deshalb sage ich: ›Für einen ungebildeten gewöhnlichen Menschen gibt es keine cittabhāvanā.‹“
➜ Accharāsaṅghātavagga (AN 1.51-60) auf SuttaCentral (deutsch)
➜ English (Sujato)
Mit „cittabhāvanā“ meinte der Buddha Cittānupassanā in Satipaṭṭhāna/Ānāpānasati.
- Wir haben ausführlich besprochen, wie ein verunreinigungsfreies pabhassara citta zu einem verunreinigten pabhasara citta (mit nur einem ‚s‘) wird.
- In den Suttas kann citta den „Zustand des Geistes“ in verschiedenen Phasen meinen. In der Cittānupassanā wird beschrieben, wie man einen Geist von „verunreinigt“ zu „rein“ trainieren kann.
- Im Abhidhamma jedoch bezeichnet citta die fundamentale Einheit der Erkenntnis, nicht den Geist. Dieser Unterschied ist entscheidend.
Mano – einer der sechs Āyatana
3. Ein Arahant hat sechs reine Sinnesfähigkeiten (indriya): cakkhu-indriya bis mana-indriya. Mit diesen nimmt er die Welt wahr – ohne dass rāga, dosa oder moha entstehen.
Ein Puthujjana jedoch benutzt diese Sinnesfähigkeiten niemals so. Sie sind immer mit mindestens moha (avijjā) belastet. Dann heißen sie āyatana: cakkhāyatana bis manāyatana.
- In den meisten Suttas wird mano genau in diesem Sinne verwendet. Siehe z. B. die Upādāya Sutta (SN 35.105) – von Marker 3.4 bis 15.1 werden durchgängig die sechs āyatana genannt.
- mano = mana āyatana = manāyatana → alles dasselbe.
- Wenn von einem normalen Menschen die Rede ist, beschreibt mano immer den verunreinigten Geist.
➜ Upādāya Sutta (SN 35.105) auf SuttaCentral (englisch – deutsch folgt bald)
Mano endet für einen Arahant
4. Beim Erreichen der Arahantschaft (im Arahant-phala-Moment) hören alle sechs āyatana auf zu existieren. Sie werden zu den sechs reinen indriya.
Stell dir vor, jemand hört eine Lehrrede des Buddhas und wird genau in diesem Moment Arahant. Äußerlich ändert sich nichts am Körper – aber alle sechs āyatana sind zu indriya geworden.
Das steht in der Cetanā Sutta (AN 4.171):
„avijjāya tveva asesavirāganirodhā so kāyo na hoti … sā vācā na hoti … so mano na hoti yaṃpaccayāssa taṃ uppajjati ajjhattaṃ sukhadukkhaṃ.“
Übersetzung:
„Wenn Unwissenheit restlos erlischt, hören kāya, vācā und mano auf zu existieren – jene, durch die (geistig erzeugtes) Glück und Leid in einem selbst entstehen.“
➜ Cetanā Sutta (AN 4.171) auf SuttaCentral (englisch)
- Die englische Übersetzung im Link ist falsch („there is no body and no voice and no mind“). Das würde bedeuten, ein Arahant würde physisch verschwinden. Wenn das wahr wäre, hätte man seinen physischen Körper verloren und wäre in dem Moment verschwunden, wenn man zum Arahant wird!
- Ein Arahant hat also mana indriya, aber kein mano/manāyatana mehr.
Kāya– und Vacī-Saṅkhāra hören bei einem Arahant ebenfalls auf
5. Übrigens: Das „Verlieren“ von kāya und vācā im Vers aus Punkt 4 bezieht sich genau auf das Stoppen von kāya– und vacī-abhisaṅkhāra! Tatsächlich bedeutet saṅkhāra in den meisten Suttas abhisaṅkhāra – also verunreinigte Taten. Deshalb heißt kāya-saṅkhāra in fast jedem Kontext nicht „Ein- und Ausatmen“. Der Satz „assāsapassāsā kāyasaṅkhāro“ bedeutet definitiv nicht: „Ein- und Ausatmen ist kāya-saṅkhāra“. Ein Arahant atmet weiter ein und aus – obwohl seine kāya-saṅkhāra vollständig erloschen sind. Das bestätigt die Cetanā Sutta aus Punkt 4.
- Deshalb ist es wichtig, den Sinn eines Wortes im Kontext der jeweiligen Sutta zu verstehen. In manchen Suttas bedeutet „kāya“ tatsächlich der physische Körper.
Zum Beispiel steht „kāya-kamma“ für Taten, die man mit dem Körper tut (wie Stehlen oder sexuelles Fehlverhalten). - Ein klares Beispiel ist die Kammanirodha Sutta (SN 35.146):
„Yaṁ kho, bhikkhave, etarahi kammaṁ karoti kāyena vācāya manasā“Übersetzung:
„Die (verunreinigten) Taten, die ihr jetzt mit Körper, Rede und Geist tut.“
Hier bedeutet „kāyena“ → „mit dem Körper“ oder „durch den Körper“.Kammanirodha Sutta (SN 35.146) – deutsch auf SuttaCentral
englisch (Sujato) - Wieder einmal ist die englische Übersetzung im Link falsch. Es handelt sich hier um „nava kamma“, was in der „nava-kamma-Phase“ generiert wird .
- In sehr vielen Suttas jedoch – besonders in denen über Satipaṭṭhāna oder Ānāpānasati – bedeutet „kāya“ definitiv nicht „der physische Körper“.
- Kāyānupassanā ist nicht das Betrachten von 32 Körperteilen oder des Atems.
Es ist die Betrachtung der „purāna-kamma-Phase“, wo die erste kamma-Erzeugung ohne bewusstes Denken stattfindet.
Viññāṇa – verunreinigter Geisteszustand
6. Viññāṇa steht für den „Zustand eines verunreinigten Geistes“. Wie wir bereits besprochen haben, sind rūpa, vedanā, saññā und saṅkhāra alles „mentale Phänomene“ bzw. „Entitäten, die in einem Geist entstehen“, sobald ein Sinneskontakt stattfindet.
- Dies sind die ersten vier der „fünf Anhaftungshaufen“ (pañca upādānakkhandha). Man kann sagen, dass viññāṇa das Ergebnis dieser vier ist. Weil in rūpa, vedanā, saññā und saṅkhāra Verunreinigungen mitspielen, kommt der Geist zu falschen Schlüssen. Viññāṇa verkörpert genau diese falschen Schlüsse und die daraus resultierenden Erwartungen.
- Das Wort „viññāṇa“ bedeutet wörtlich „Abwesenheit von ñāṇa“ – also Abwesenheit von Weisheit/Wissen über die wahre Natur der Welt.
Viññāṇa schließt „vom Geist ergriffenes Rūpa“ ein
7. Diesen Aspekt habe ich bisher noch nicht explizit besprochen – es lohnt sich aber, ihn wenigstens kurz zu klären.
- Wie wir wissen, lässt sich jede Sinneswahrnehmung mit den pañca upādānakkhandha beschreiben. Sobald ein Sinneskontakt eintrifft, erstellt der Geist seine eigene Version eines äußeren rūpa (Bild, Ton, Geschmack usw.). Diese „vom Geist gemachte Version“ ist rūpa upādānakkhandha. Die Wurzel dafür ist verzerrte saññā (saññā upādānakkhandha).
- Auf Basis dieses „vom Geist gemachten rūpa“ entsteht „vom Geist gemachte vedanā (samphassa-jā-vedanā) → vedanā upādānakkhandha.
- Daraus entstehen (abhi)saṅkhāra → saṅkhāra upādānakkhandha.
- Viññāṇa upādānakkhandha ist das Gesamtergebnis. Es umfasst alle vier und verknüpft insbesondere die „nāma-Aspekte“ in vedanā, saññā, saṅkhāra mit dem „rūpa-Aspekt“ und erzeugt so nāmarūpa. Genau das ist der Schritt „viññāṇa paccayā nāmarupa“ im Paṭicca Samuppāda. Diese nāmarūpa-Bildung endet mit der Arahantschaft.
Rūpa, Vedanā, Saññā, Saṅkhāra, Viññāṇa – immer die Anhaftungshaufen
8. Es ist entscheidend zu verstehen: rūpa, vedanā, saññā, saṅkhāra und viññāṇa beziehen sich fast immer auf die jeweiligen upādānakkhandhā.
- Sobald ein Sinneskontakt eintrifft, „expandiert“ der Geist explosionsartig – die upādānakkhandhā wachsen in rasender Geschwindigkeit. Bleibt der Geist an diesem Kontakt hängen, wiederholt sich das Anhaften ständig.
- Die fünf upādānakkhandhā wachsen langsam in der purāna-kamma-Phase und explodieren in der nava-kamma-Phase, wenn der Geist bewusst kamma ansammelt.
- In älteren Texten nannte ich viññāṇa in der purāna-kamma-Phase „vipāka viññāṇa“ und in der nava-kamma-Phase „kamma viññāṇa“. Es ist dasselbe viññāṇa, das immer stärker wird. Auch vipāka viññāṇa ist verunreinigt.
Unterschiede zwischen Sutta und Abhidhamma
9. Das oben Gesagte ist eine kurze Beschreibung von citta, mano und viññāṇa gemäß den Suttas.
- Jetzt kommen wir zum eigentlichen Knackpunkt: das Wort „citta“ wird im Abhidhamma anders verwendet.
- Wer noch kein Abhidhamma kennt, kann ab hier ruhig bis Punkt 12 überspringen. Weiterlesen ist okay – aber bitte nicht entmutigen, wenn es noch nicht klick macht.
Abhidhamma gibt eine glasklare Erklärung
10. Die Suttas erklären nicht direkt, wo cittā entstehen (lose übersetzt „Gedanken“).
- Abhidhamma sagt: Cittā entstehen im hadaya vatthu (Sitz des Geistes) im manomaya kāya (auch gandhabba genannt). „Manomaya“ bedeutet „ausschließlich durch mano erzeugt“. Ein neuer manomaya kāya entsteht durch kammische Energie, wann immer ein Wesen eine neue Existenz ergreift. Diese kammische Energie wurde in früheren Leben durch mano (manāyatana) erzeugt.
- Im Gegensatz dazu besteht unser physischer Körper (cātumahābhūtikassa kāya) aus der Nahrung, die wir essen. Siehe z. B. „Paṭhamakāmabhū Sutta (SN 41.5)“.
- Viele Menschen werden von ihrem physischen Körper genervt und begehen sogar Selbstmord – aber das beendet das Leiden nicht, weil sie mit einem neuen physischen Körper wiedergeboren werden.
- Um das Leiden zu beenden, muss man verstehen, wie manomaya kāya durch starkes kamma entsteht. Und man muss die initiale kamma-Bildung in der purāna-kamma-Phase stoppen – das geht nur durch Entfernen der zehn saṃyojana (das war die bisher unbekannte Lehre des Buddhas und der Grund, warum alte Yogis nie das Ende des Leidens erreichten).
11. Im Abhidhamma ist die Wortverwendung messerscharf. Zum Beispiel bedeutet citta immer die fundamentale Einheit der Erkenntnis – mit mindestens sieben cetasika, die gleichzeitig entstehen.
- Ein citta entsteht nie allein → immer als „Reihe von cittās“ (citta-vīthi).
- Ohne Sinneskontakt ist der Geist inaktiv (Schlaf) oder völlig inaktiv (Bewusstlosigkeit, z. B. bei einer OP).
- Jeder Sinneskontakt erzeugt sofort eine „Erkenntnis“ des Kontakts. Der Buddha lehrte: Das ist immer eine „falsche Erkenntnis“ bzw. „verzerrte saññā“. Schon im ersten citta-vīthi haftet der Geist mit Gier, Hass oder Ignoranz an dieser verzerrten saññā an. Genau dieses Anhaften verwandelt den reinen Geist (mana indriya) in den verunreinigten Zustand manāyatana / mano. Das ist das „mano“ in „mano pubbaṅgamā dhammā“.
Quellen & Links zu allen genannten Suttas auf SuttaCentral
- Assutavā Sutta (SN 12.61) – deutsch
- Accharāsaṅghātavagga (AN 1.51-60) – deutsch
- Upādāya Sutta (SN 35.105) – englisch
- Cetanā Sutta (AN 4.171) – englisch
- Kammanirodhasutta (SN 35.146)
- Paṭhamakāmabhū Sutta (SN 41.5)